Chaosprinz Band 2
Hand. Sie hat natürlich einen Sprung. »Und er war zweimal verheiratet, oder?«
Ich nicke.
»Snob«, zischt der Alte und kramt in einer Schublade nach Teelöffeln. »Alle zusammen Snobs. Habe ihr Bild damals in der Zeitung gesehen. Das Hochzeitsfoto… so 'ne Schnöselfamilie… mit Anzug und so. Ich war natürlich nicht zur Hochzeit eingeladen… kann ja nicht richtig Hummer essen, hätte Joachim nur blamiert vor der feinen Gesellschaft…« Bitterkeit trieft aus seiner dünnen Stimme.
Er zittert, als er mir Kaffee eingießt. Seine dürren, knochigen Finger umklammern den Griff der Kanne. Keuchend stellt er sie auf die dreckige Wachstischdecke, ehe er sich ebenfalls an den Tisch setzt.
Ob ich meinen Kaffee mit Milch und Zucker trinke oder doch lieber schwarz, scheint ihn nicht zu interessieren. Die kleinen, wässrigen Augen starren mich wieder an.
»…immer etwas Besseres… Wir waren ihm nicht genug…«, murmelt er leise.
Ich bin mir nicht sicher, ob ihm klar ist, dass ich ihn hören kann. Ich nippe an dem Kaffee. Er ist ungenießbar.
»Ich wollte herausfinden, warum du keinen Kontakt zu Pa hast und…«, stottere ich schließlich verschüchtert.
»Ich? Keinen Kontakt?«, spukt er krächzend aus. »Joachim ist mit neunzehn Jahren von zu Hause abgehauen. Gleich nach dem Abi. Die Mutter war gerade tot und ich habe Hilfe gebraucht… es war kein Geld da… habe keine Arbeit bekommen und sein Bruder war ja auch noch da… Joachim ist einfach abgehauen… Er hatte hier Pflichten…« Wütend knallt er seine Tasse auf den Tisch.
»Aber ich bin auch so zurechtgekommen… brauche niemanden… hab meine Rente…« Er steht auf. Seine dünnen Beine erscheinen mir so unstabil. »… hat sich immer geschämt für seinen Arbeitervater… in der Schule ein Streber… anstatt uns was zum Fressen zu kaufen, hat er sein Geld lieber gespart… Studium… dass ich nicht lache…«
Er wankt aus dem Zimmer. Ich sehe ihm mit einem unguten Gefühl hinterher. Der Alte scheint sehr verwirrt zu sein. Ich will weg.
Wie es wohl war, hier aufzuwachsen? Jeden Abend zurück in diese Wohnung zu kommen? Zurück zu diesem Mann, seinen Vorwürfen und seinen Forderungen? Ich glaube, ich kann Pas Flucht verstehen.
Mein Großvater ist verschwunden. Ich höre ihn in einem der anderen Räume rumoren. Langsam stehe ich auf und betrete den dunklen Flur. Aus einer offen stehenden Zimmertür dringen Geräusche.
Ich trete vorsichtig näher. Es ist, nein, es war einmal ein Jugendzimmer. Bett, Schrank und Schreibtisch sind die einzigen Möbel. An den Wänden hängen Fotos und Poster, auf denen Stars der 80er Jahre zu sehen sind. Prince und Madonna , neben ABBA und Michael Jackson . Eine Jeansjacke hängt über dem Schreibtischstuhl und auf dem Tisch liegen noch einige alte Schulhefte.
Der große, bunte Wecker auf dem Nachttisch ist längst stehen geblieben und das Bett immer noch nicht gemacht. Es sieht alles so aus, als wäre der Teenager, der hier gelebt hat, mal eben aus dem Zimmer gegangen, um sofort wieder zurückzukommen. Nur, dass sich diese Abwesenheit über zwanzig Jahre hinweg gezogen hat.
Pas Zimmer. Ich bleibe ihm Türrahmen stehen.
»Da bist du ja endlich«, raunzt mich der Alte mit wirrem Blick an. »Ich habe dir gesagt, du sollst das Altpapier runter bringen.« Er deutet auf einen Stapel alter Zeitungen. Sie sind schon vergilbt. Von der Titelseite lächelt mir Altkanzler Kohl entgegen.
»Muss ich dir eigentlich alles dreimal sagen? Hättest mal wieder eine Backpfeife verdient, vielleicht erinnerst du dich dann daran, dass man seinem Vater Respekt entgegenzubringen hat… Ich bezahle schließlich deine Kleidung und die grässlichen Kassetten, die du immer hörst.« Noch einmal zeigt er auf die Zeitungen. »Altpapier!«, brüllt er laut.
Ich weiß erst nicht, was ich tun soll. Der Alte scheint wirklich verwirrt zu sein. Ich fühle mich restlos überfordert und bereue es sehr, dass ich Alex nicht habe mitkommen lassen.
»Großvater…«, hauche ich unsicher. »Ich bin nicht Joachim… ich bin sein Sohn, Tobias, dein Enkel…«
Der Alte starrt mich ungläubig an, dann blinzelt er. »Ah…« Sein Blick wird klarer, er begreift. »Ach so, ja, natürlich…«
Schwerfällig nickt er mit dem Kopf. »Tobias, kann ich dir etwas anbieten? Bin ja ein anständiger Gastgeber… kein Snob, aber immerhin… vielleicht einen Kaffee?«
»Nein, danke.« Ich schüttle den Kopf, traue mich aber nicht, ihm zu sagen, dass er mir bereits eine
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