Chaosprinz Band 2
mit dem Kopf nach rechts. Ich folge ihrem Blick. Alex sitzt auf seinem Platz und kritzelt gedankenverloren auf einem Collegeblock herum. Die Augenbrauen zusammengezogen und die Lippen fest aufeinander gepresst, schaut er nicht auf, schreibt nicht mit und ignoriert Bens Monolog vollkommen.
»Was ist denn mit dem los?«, fragt Lena.
»Ich weiß nicht.« Ich mustere ihn unauffällig. Ist er wütend? Warum? Ob es daheim Ärger gegeben hat? Oder hat er sich mit Anja gestritten?
Ich werfe einen Blick auf Anjas Rücken. Hm, wenn Alex sie echt fallen gelassen hat, dann geht sie mit diesem Schmerz erstaunlich locker um. Eifrig schreibt sie die kurze Notiz ab, die Ben eben an die Tafel gekritzelt hat. Von Trauer und gebrochenem Herzen ist nichts zu sehen. Hm, er hat sich also doch nicht von ihr getrennt… Schade…
»Achtung, Tobi«, zischt mir Lena leise ins Ohr. »Kontaktaufnahme von rechts…«
»Hä?« Ich sehe sie verständnislos an.
»Alex…« Sie verdreht die Augen.
Tatsächlich, er schaut zu mir herüber. Ich versuche es mit einem schwachen Lächeln, das aber total wirkungslos an seiner kühlen Miene abprallt. Finster starrt er mich an.
»Wo warst du heute Morgen?« Er flüstert so leise, dass ich die Worte fast schon von seinen Lippen ablesen muss, um sie zu verstehen.
»Wieso?« Ich mache einen auf unschuldig und zucke nur kurz mit den Schultern.
Seine grauen Augen bohren sich tief in meine. Er weiß, dass ich ihm ausweiche. Ich mag es nicht, wenn er mich so ansieht. Ich habe immer das Gefühl, als könne er meine Gedanken lesen. Schnell drehe ich den Kopf nach vorne und richte meinen Blick auf Ben, der vor der Tafel auf und ab geht. Er stellt eine Frage und lässt seinen Blick über die Schüler schweifen. Als er mich ansieht, lächelt er unauffällig. Auch ich lächle.
***
»Ich glaube, er mag dich.« Lena sitzt auf einem der alten Sofas im Gemeinschaftsraum der Oberstufe und sieht mich grinsend an.
»Hm?« Ich kaue hungrig auf meinem Pausenbrot herum.
»Bäumchen, er mag dich.«
»Er mag alle Schüler«, sage ich ausweichend.
»Ja, schon, aber dich mehr als andere.« Sie rührt in ihrem Joghurt herum.
»Ach, Quatsch.« Ich will zu diesem Thema nichts sagen.
Lena, Martin und ich verbringen unsere Mittagspause in der Schule. Der Aufenthaltsraum ist recht leer und wir genießen die angenehme Ruhe. Ich lümmle in einem der breiten Sessel, der seine besten Zeiten schon längst hinter sich hat. Lena und Martin sitzen mir gegenüber auf einer durchgesessenen Couch und beide lesen in Paul Austers Moon Palace , dem Roman, den wir gerade im Englischunterricht besprechen.
»Ich verstehe kein Wort.« Martin klappt das Buch zu und wirft es auf den niedrigen Couchtisch. »Ich glaube, ich kaufe mir die deutsche Version. Hey, Tobi, habt ihr Paul Auster bei euch im Laden?«
»Seine neueren Sachen schon, aber nicht Moon Palace «, sage ich. »Außerdem bringt es dir mehr, wenn du es in der Originalsprache liest, schließlich musst du im Abi ja auch Englisch schreiben.«
»Das Abi ist noch so weit weg«, meint Martin.
»Nicht weit genug.« Lena seufzt. »Wisst ihr schon, was ihr danach machen wollt? Also ich will Sozialwissenschaften studieren.« Sie grinst überzeugt.
»Ich weiß auch schon, was ich machen will…«, nuschelt Martin leise und denkt dabei wahrscheinlich an seine Eisenbahnen.
»Und du, Tobi?« Lena sieht mich interessiert an. Uh, was für eine Frage… Ich bin momentan froh, wenn ich denn nächsten Tag ohne Drama überstehe.
Ich habe keine Ahnung, was ich später mal machen will. Muss man denn so etwas wissen? Ich bin gerade achtzehn geworden und soll mir schon darüber im Klaren sein, wie ich den Rest meines Lebens verbringen will? Ich zucke nur kurz mit den Schultern und beiße dann erneut von meinem Brot ab.
Die anderen scheinen allerdings schon ganz genau zu wissen, wie es weiter gehen soll. Sie haben einen richtigen Plan. Einen Lebensplan. Lena will studieren, Martin zu seinen Eisenbahnen und ich bin mir sehr sicher, auch Tom weiß ganz genau, was er werden will. Wahrscheinlich Pornodarsteller oder so.
Und Alex... Hm, der hat von den Abinoten über die Hochzeit und das erste Kind bis hin zu seiner eigenen Beerdigung alles geplant. Kein Tag, keine Entscheidung, nichts wird dem Zufall überlassen. Ist das gut oder schlecht? Sollte ich mir an ihm ein Beispiel nehmen oder ihn bemitleiden?
»Ich hasse Nachmittagsunterricht«, jammert Martin und sackt noch ein bisschen tiefer in die
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