Chaosprinz Band 2
an Jan vorbei und betrete den Klassenraum. Es sind schon alle da. Ich sehe niemandem in die Augen und hoffe, dass mein unauffälliges Verhalten mit ein bisschen gutem Willen zur sofortigen Unsichtbarkeit führt.
Doch scheinbar wirkt der Zauber gerade nicht, denn ich habe das Gefühl, als hätte die Hälfte der Klasse meine Ankunft nicht nur bemerkt, sondern regelrecht erwartet. Ich spüre die verschiedenen Augenpaare, die sich auf meinen Körper heften und nicht mehr loslassen wollen. Unangenehm. Immer noch starre ich den Linoleumboden an und tapse mit gesenktem Kopf durch die Reihen, als…
Irgendwas fällt, nein, springt mir entgegen. Ich taumele nach hinten, rudere mit den Armen und versuche, mein Gleichgewicht zu halten.
Der Geruch nach Pfirsich steigt mir in die Nase, ein weicher, schmaler Körper drückt sich an meine Brust und ich kann einen rotbraunen Schopf erkennen, der auf meiner Schulter liegt. Lena. Überrascht und leicht verwirrt schiebe ich sie etwas von mir. Sie strahlt mich an.
»Verzeihst du mir?«, frage ich leise.
»Natürlich verzeih ich dir, Dummerchen, wozu denn sonst diese überschwängliche Begrüßung?« Sie lacht fröhlich. Ihre Augen glänzen.
»Lena, ich hatte so ein schlechtes Gewissen«, erkläre ich schnell. Ich muss ihr das sagen, muss es loswerden.
»Ist schon gut. Nun, du hattest ja recht… in vielerlei Hinsicht. Es tat nur so weh, zu sehen, wie du den Glauben an diese große, magische Liebe verlierst«, meint sie sanft.
»Nein, ich habe diesen Glauben nicht verloren, wirklich nicht. Ich war einfach nur stur und… und dumm…« Ich grinse verlegen.
»Ich war auch dumm. Anstatt dich und deine Entscheidungen zu unterstützen, musste ich immer an dir rummäkeln und wusste alles besser. Und dabei war ich selbst so feige.« Sie wird rot.
»Lena, wegen Luca… also…« Ich schlucke. Was wird sie von meinem kleinen Besuch im Musikladen halten? Kaum vorstellbar, dass sie begeistert sein wird.
»Also, weißt du… ich bin ja eigentlich Schuld daran, dass es zwischen dir und Luca nicht geklappt hat und… ich wollte es wiedergutmachen… aber…«, stottere ich. Mein Bauch ziept so unangenehm.
»Du hast ihn einen Möchtegernrebell genannt.« Lena grinst.
»Was?« Ich starre sie perplex an.
»Na, als du gestern bei ihm warst, da hast du ihn einen Möchtegernrebell genannt und gesagt, er hätte mich gar nicht verdient.«
»Ich… ja, aber… Scheiße, Lena, woher…?«, stammele ich total überrumpelt.
»Er hat mich angerufen.« Ihr Lächeln wird noch breiter.
»Er hat… Das ist doch nicht dein Ernst!« Ich hätte mit allem gerechnet, aber damit…
»Doch, das ist mein voller Ernst. Ich war erst genauso überrascht wie du jetzt, aber dann hat er mir alles erklärt. Irgendwie hast du ihn beeindruckt.« Sie lacht.
»Ich hatte viel eher das Gefühl, dass er mich überhaupt nicht leiden kann«, meine ich unsicher.
»Naja, er kann dich auch nicht leiden, aber scheinbar mag er mich…« Ihre Augen funkeln aufgeregt. »Wir gehen am Wochenende auf ein Konzert.«
Ich bin immer noch ziemlich durcheinander, doch Lenas rote Wangen und das Strahlen in ihrem Gesicht sind viel wichtiger. Fest nehme ich sie in die Arme.
»Hey, Gratulation. Ich hoffe, das wird was mit euch beiden.«
»Ich auch«, haucht sie.
Wir stehen ziemlich abseits, unterhalten uns leise und unauffällig und trotzdem scheint die ganze Klasse mitbekommen zu haben, dass wir uns versöhnt haben. Neugierige Blicke mustern uns, wandern zwischen unseren strahlenden Gesichtern hin und her. Ich bin mir sicher, sie gehen immer noch davon aus, dass wir ein Liebespaar sind. Ha, wenn die wüssten…
»Guten Morgen.« Ben betritt den Klassenraum, wir setzen uns auf unsere Plätze.
Ich krame in der Tasche nach meinem Exemplar von Kabale und Liebe und lächle glücklich vor mich hin. Es ist schön, Lena wieder neben mir zu haben. Ich fühle mich gleich viel sicherer, viel stärker, viel wohler. Man merkt immer erst, wie wichtig einem jemand ist, wenn dieser jemand nicht da ist.
Ben beginnt mit seinem Unterricht und dieses Mal fällt es mir nicht so schwer, dem Stoff zu folgen. Im Gegenteil, hochkonzentriert lausche ich den Erläuterungen und mache mir sogar hin und wieder Notizen. Was Marc wohl sagen würde, wenn er wüsste, wie brav ich hier sitze und an Bens Lippen hänge?
Spitz stößt sich Lenas Ellenbogen in meine Seite. Ich sehe sie an.
»Was ist?«, flüstere ich leise. Sie antwortet nicht, sondern nickt einfach nur
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