Chaosprinz Band 2
– »sie sagen, du wärst schwul.« Er fängt an, zu schluchzen, und hält sich mit den Händen die Augen zu. »Dieser fiese Mob«, jammert er immer wieder und schnieft dabei übertrieben laut.
Ich muss lachen. »Wow, Anja ist ja wirklich fix«, meine ich spöttisch.
»Wieso hast du mir nicht gesagt, dass du dich vor den anderen outen möchtest? Wir hätten das Ganze anders aufziehen können.« Alex macht ein ernstes Gesicht.
»Was heißt hier aufziehen ? So ist es doch gut.«
»Tobi hat recht, Alex«, mischt sich nun auch Tom ein. »Es ist raus und fertig.«
Alex erwidert nichts.
Im Wohnzimmer fangen sie laut zu jubeln an. Die ersten Takte von Skandal im Sperrbezirk ertönen. Die Partymeute singt fröhlich mit.
»Geil«, freut sich Tom, schnappt nach Andrés Handgelenk und zieht ihn mit sich.
Alex und ich bleiben allein zurück. Es ist niemand in der Küche. Das finde ich gut. Die Pizza ist fertig. Sie riecht sehr lecker.
»Dann hat dich Anja also gleich angerufen, nachdem sie Kim und mich beim Einkaufen getroffen hat?«, frage ich amüsiert.
Alex setzt sich auf einen der Plastikstühle. »Ja, ich glaube schon.«
»Was hat sie gesagt?«
»Sie meinte, sie hätte dich mit einem Kerl gesehen und du hättest ihn als deinen Freund vorgestellt.« Alex spielt mit zwei Gummibären.
»Sonst nichts?«
»Sie hat mich gefragt, ob ich davon wüsste.« Ein rotes Gummibärchen und ein grünes Gummibärchen.
»Was hast du gesagt?«
»Ich habe ihr erklärt, dass es deine Sache ist, wann du dich outest…« Das eine Gummibärchen küsst das andere.
»Und warum war sie so schockiert?«
Er schaut auf. »Wieso schockiert? Wer hat behauptet, dass sie schockiert war? Sie war überrascht, aber schockiert nicht.« Nun küssen sich beide Bärchen.
Ich sehe das Bild der weinenden Anja vor mir. Sie steht neben ihrem roten Mini mitten auf dem Supermarktparkplatz und heult. Habe ich mir das nur eingebildet?
Alex hält die beiden Gummibären immer noch in den Händen. Er lässt sie voreinander hin und her tanzen, dann fallen sie sich wieder in die Arme und küssen sich.
»Mit Essen spielt man nicht«, sage ich grinsend.
Alex bemerkt erst jetzt, was er da tut, und lässt die Hände sinken. Er starrt die Bären an. Wahrscheinlich überlegt er, was er nun mit ihnen machen soll: Wegwerfen? Nein, zu grausam. Essen? Auch grausam. Er reicht mir eins. Das rote. Ich muss lachen.
»Danke.« Ich nehme es an mich und betrachte es grinsend. Wir schweigen.
Plötzlich füllt sich die Küche wieder. Hungrig stürzen sich die Leute auf die heiße Pizza und Alex erhebt sich, um den anderen Platz zu machen.
»Wo kann ich hier rauchen?«, fragt er mich.
»Auf dem Balkon.« Ich gehe voraus. »Komm mit.« Das Gummibärchen lasse ich in meiner Hosentasche verschwinden.
Es dauert eine halbe Ewigkeit, bis wir uns durch die schwitzende Menge im Wohnzimmer geschoben und gedrückt haben. Doch schließlich erreichen wir die gläserne Balkontür. Draußen stehen ein paar Raucher, reden und qualmen.
Der Balkon ist groß und lang. Wir stellen uns ans andere Ende und Alex fischt aus seiner Hosentasche eine Zigarettenpackung. Es ist sehr kühl. Die Herbstnacht beschert uns niedrige Temperaturen und feuchte Luft. Ich fröstle. Eilig vergrabe ich meine Hände in den Hosentaschen und ziehe die Schultern nach oben.
»Ist dir kalt?«, frage ich Alex.
»Nein.«
»Ich könnte dir deine Jacke holen.«
»Brauchst du nicht.« Er zündet sich die Zigarette an. Wir lehnen an dem Geländer des Balkons und schauen auf den schmutzigen, dunklen Innenhof des alten Hauses.
»Kein schöner Ausblick«, meine ich grinsend.
»Nein.«
Ich hebe den Kopf und betrachte den Himmel. Kein Regen, keine Wolken, nur Sterne und der Mond. Vollmond. Er strahlt so schön und stark, wie ich es in Städten selten gesehen habe.
»Guck«, sage ich und deute auf den Mond. »Sieht toll aus, oder?«
»Ja.«
»Ich weiß nie, ob der Mond gerade abnimmt oder zunimmt.«
»Ich auch nicht.«
Mir ist kalt. Ich zittere. Doch in mir drinnen ist es wunderbar warm. Mein Herz pumpt warmes Blut, in meinem Magen kribbelt es heiß und ich fühle mich frei und leicht.
»Ich bin sehr froh, dass du da bist«, sage ich leise.
»Ich nicht.«
Ich drehe den Kopf und sehe ihn an. Er zieht leicht an seiner Zigarette, atmet den Rauch tief ein und lässt ihn dann sanft aus seinem Mund entweichen. Die grauen Augen fixieren den Mond. Er spiegelt sich in ihnen wider.
»Du möchtest nicht hier sein?«,
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