Chaplins Katze, Clintons Kater
Lear erregte die Aufmerksamkeit des Grafen von Derby (besser hätte er es nicht treffen können), der sein Mäzen wurde. Er malte die »Privatmenagerie« dieser uralten, intellektuellen, politisch mächtigen und reichen Familie und begann Limericks zu schreiben, um die Kinder und Enkelkinder dieser Sippe damit zu unterhalten.
›Edward Lears kompletter Nonsens‹, ein Buch, das im englischen Original 1846 veröffentlicht wurde (ich habe die 22. englische Neuauflage vor mir liegen), wurde von Constance Lady Strachey herausgegeben. Die Einleitung verfasste der Graf von Cromer. Beide gehörten zu den
»Urenkeln, Großneffen und Großnichten von Edward, dem 13.
Grafen von Derby«, dem Lear mit diesen Worten die erste Ausgabe widmete.
Zu seinen Lebzeiten waren Lears Landschaftsbilder sehr gefragt. Er unternahm viele weite Reisen und veröffentlichte illustrierte Berichte über seine Erkundungen im
Mittelmeerraum bis nach Albanien, in die Türkei, nach Syrien, Palästina und später Indien. Auch im englischen Lake District war er zu Hause. Zu seinen zahlreichen Freunden aus der besseren Gesellschaft gehörte der Dichter Tennyson, der ihm in einem Gedicht Bewunderung zollte – für seine Mittelmeerlandschaften, nicht etwa für die Nonsensdichtung.
Es trägt den Titel ›Für E. L. auf seinen Reisen in Griechenland‹. Nur wenige Menschen werden wissen, wessen Initialen das sind. Tennysons Gedicht fängt so an: Illyrische Wälder, weithin hallende Wasserfälle, wässrige Scheiben aus Sommerglas
Der lange, göttliche Peneische Pass
Die unendlich weiten Mauern der Akrokeraunier.
Tomohrit, Athos und alles Schöne und Hehre
Mit diesem Stifte, mit dieser Feder
Skizziert Ihr für uns, die weit entfernt.
Ich lese und glaube dabei gewesen zu sein…
»Akrokeraunier« und »Tomohrit« klingen so, als hätte sie Lear für eines seiner Gedichte erfunden. Kein Wunder, dass sein Nonsens nicht nur seine Gemälde, sondern auch Tennysons Lobeshymne überlebt hat. Lear war begeistert von Tennyson, machte sich jedoch auch über ihn lustig und parodierte den verehrten Hofdichter. Wie ein Freund Lears einmal bemerkte,
»war sein Lachen immer den Tränen nah«. Er setzte sich ans Klavier (ja, er spielte auch Klavier und komponierte) und schluchzte, während er Tennysons ›Tears, Idle Tears‹ spielte und sang (»Ich weiß nicht, was sie bedeuten / Tränen aus tiefster Tiefe göttlicher Verzweiflung«). Und am nächsten Tag schickte er dann einem Freund, der dabei gewesen war, eine Parodie voller Worte wie »Nlov, fluv bluv, ffluv…« Natürlich mit Zeichnung!
Keinem Kind, dem das große Glück widerfahren ist, mit den Limericks, Alphabeten, Skizzen und der selteneren
›Allgemeinen Koch- und Blumenkunst nach Prof. Quetsch‹
aufgewachsen zu sein, darf man es übel nehmen, wenn es zu dem Schluss gelangt, dass kaum etwas von dem, was heute geschrieben wird, so leicht an Lears leichten Spaß heranreichen kann. (Leicht! Er war schließlich Maler und hatte also auch noch den kleinsten Schnörkel unter Kontrolle.) All dies ist jedoch nur ein blasses Vorwort für die berühmte Liebesgeschichte zwischen dem Kauz, der ja Lear aus den Vogelzeichnungen seiner Jugend so wohl bekannt war, und der Katze – einer schüchternen Dame aus der Katzenfamilie, die nicht die geringste Ähnlichkeit mit Foss aufweist. Eine romantische Erzählung, wie sie schöner nicht sein könnte. Wie wir alle wissen, stachen der Kauz und die Katze in See, und zwar in einem moosgrünen Nachen, mit »Honig beladen, mit Pflaumenrouladen und anderen guten Sachen«, und
Es brachte der Kauz ein Ständchen dar
der Katze auf seiner Gitarre.
»Ich liebe dich rasend mit Haut und Haar«
so hört’ man ihn jaulen und schnarren.
»Und wenn’s dich nicht graut«,
frohlockte er laut,
»dann wirst du heute noch meine Braut.«
Das bestens erzogene und süße Katzenfräulein antwortete dem Kauz:
»Dein hochelegantes Gefieder – entschuldige mich, wenn ich maunze! – betört mich, wie deine Lieder.«
Und dann kreuzten sie auf der Suche nach einem Ring ein ganzes Jahr und einen Tag auf dem Meer hin und her und fanden schließlich in einem fernen Land »ein Schwein auf den Äußern Hebritzen, das hat einen sitzen, einen Ring an der Nasenspitzen«.
Das Schwein verkauft ihnen mit Freuden seinen Nasenring für »milde Gaben« und schon am nächsten Tag wird das nun ordnungsgemäß verlobte Paar vom Truthahn »getraut mit fürchterlichem Geschnatter«. Und dann
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