Charade - Bittersueßes Spiel
Tür geht auf. Ich habe keine Ahnung, woher ich das weiß. Ich weiß es einfach. Ich atme aus, sicher, dass sie es sein wird … Ruckartig öffne ich die Augen. Ein Typ, ein großer Typ mit Bart, kommt herein, zusammen mit einer Frau. Sie küssen sich, und es ist ekelig. Ihre Hände sind überall auf dem Körper des anderen
.
Was tun die da?
»Vince. Da ist ein Kind in der Ecke.« Kurz frage ich mich, ob sie mir helfen werden. Ob sie meine Mama für mich finden werden. Aber dann fangen beide an zu lachen. Meine Augen brennen, und Tränen rinnen über meine Wangen
.
»Raus mit dir, Kleine! Das hier willst du nicht sehen!«, ruft der unheimliche Mann
.
Er hat recht. Ich will nur meine Mama. Ich will nach Hause
.
Ich springe auf und laufe aus dem Zimmer. Überall sind Leute. So viele Menschen, dass ich kaum durchkomme. Sie schubsen mich und rempeln mich an, während die laute Musik mein Herz immer schneller klopfen lässt
.
Ich durchsuche weiter das Haus. Suche nach Leuten. Nach Mama. Es riecht nicht besonders gut, aber ich erkenne den Geruch nicht. Jemand verschüttet etwas von seinem Drink auf mir, und ich weine noch mehr. Diesen Geruch kenne ich. Das ist Bier. Mamas alter Freund hat das auch gern getrunken
.
Niemand fragt, ob er mir helfen kann
.
Ich kann Mama nicht finden
.
Sie hat mich allein gelassen
.
Eine andere Stimme. Ein anderer Mann. »Ich werde dir helfen, deine Mama zu finden …«
Schaudernd setze ich mich auf und wische mir die Tränen von den Wangen. Ich bin nicht mehr dieses Kind. Diese Erinnerungen dürfen nicht mehr mein Leben bestimmen, also konzentriere ich mich auf das Hier und Jetzt.
Gut möglich, dass ich Gregory nicht so sehr in mein Herz gelassen habe, wie normale Freundinnen es getan hätten, aber ich habe ihm vertraut. Mehr, als ich hätte tun dürfen. Menschen verletzen dich, wenn du es zulässt. Und ich will nie wieder verletzt werden.
Ich werfe einen Blick in den Rückspiegel und stelle fest, halbwegs in Ordnung auszusehen. Meine dunkelbraunen Augen sind kaum gerötet, und ich kann auch keine Flecken auf meiner sonst makellosen Haut erkennen.
Ich öffne meine Handtasche und fische meinen Eyeliner heraus. Danach folgt Mascara, und ich füge sogar etwas Lipgloss hinzu.
»Ich bin nicht mehr dieses Kind«, wiederhole ich immer wieder, während ich in den Spiegel sehe. Schon bin ich wieder Cheyenne Marshall und nicht mehr dieses kleine, panische Mädchen auf der Party, das im Stich gelassen wurde. Ich bin stärker als meine Vergangenheit.
Noch einmal hole ich tief Luft, dann starte ich meinen Wagen und fahre los.
»Männer sind solche Arschlöcher. Mein letzter Freund hat mich auch betrogen. Mit Veronica ist alles so viel einfacher.«
Damit erringt Andrea meine Aufmerksamkeit. Die Uni hat erst vor ein paar Wochen angefangen, und wir sind nie zur selben Zeit in unserer Studentenwohnung. Das ist vermutlich erst das dritte Mal, dass wir uns unterhalten. »Wie …?«
»Ich bin bisexuell.« Andrea setzt sich auf. »Hast du ein Problem damit?« Sie hat ihr pinkfarbenes Haar zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden und trägt ein gleichfarbiges Volleyballshirt.
Ich habe noch nie jemanden getroffen, der auf Mädchen
und
Jungs steht. Ich weiß nicht, warum, aber ich hätte erwartet, dass solche Leute anders aussehen.
Ich höre auf, Andrea zu mustern, als mir ihre Frage bewusst wird. Dabei straffe ich meine Schultern, als würde mich das weniger durschaubar machen. Ein Blick hat offenbar ausgereicht, um über die Sache mit Gregory Bescheid zu wissen. »Nein, kein Problem. Woher weißt du, dass mein Freund mich betrogen hat?«
Wie lässig ich das gesagt habe! Weil es mir nämlich egal ist. Zumindest soll Andrea das denken.
Ohne eine Antwort abzuwarten, lege ich mich wieder auf mein Bett und wende mich der Mauer zu. Die Wahrheit ist, dass es mir überhaupt nicht gut mit alldem geht, doch das ist das Letzte, was ich sie sehen lassen will.
Wie peinlich ist das? Erst zwei Wochen auf dem College, und ich finde heraus, dass mein Freund mit anderen Mädchen schläft. Oder zumindest mit einem anderen Mädchen. Wie konnte mir das nur passieren?
»Dich in deinem Bett zu verstecken, lässt das Problem nicht verschwinden.«
»Ich verstecke mich nicht«, antworte ich, ohne mich zu bewegen.
»Das ist er doch gar nicht wert. Lass dich von ihm nicht fertig machen.«
Woher will sie wissen, wie viel Gregory mir wert ist? Ich stelle die Frage nicht, weil ich ohnehin nicht
fertig
bin. Nicht wegen
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