Charade - Bittersueßes Spiel
sehen.« Sie schenkt mir ein Lächeln, und ich küsse sie auf ihren kahlen Kopf.
»Das sind die meisten Leute.«
Manchmal frage ich mich, ob sie meine Schauspielerei durchschaut. Ob sie weiß, dass es mich innerlich zerreißt, ich aber einfach nichts sagen kann. »Du solltest nicht versuchen, allein das Bett zu verlassen, Mom.«
Ein Einundzwanzigjähriger sollte auch nicht sein Elternteil schelten müssen. Die Situation hat etwas sehr Unschönes an sich.
»Ich bin doch nur hingefallen.«
»Du kannst es dir nicht leisten, dir wehzutun.«
Sie seufzt. »Ich sterbe sowieso. Manchmal würde ich das gern mit ein bisschen Würde tun. Eine Frau sollte ohne Hilfe aus ihrem Bett steigen können.«
Ich balle meine Hände zu Fäusten. Verdammt ja, ich weiß, dass sie im Sterben liegt, aber das heißt noch lange nicht, dass ich es hören will. Oder dass nicht trotz allem etwas Wildes oder Verrücktes passieren könnte.
Cheyenne hat angenommen, ihre Mutter hätte sie verlassen, doch das stellte sich als falsch heraus. Vielleicht kann hier das Gegenteil passieren. Leute werden immer wieder gesund. Es ist eine Lüge, ich weiß. Das wird nicht geschehen, aber ich will verdammt noch mal so tun dürfen, als ob.
»Es tut mir leid. Das hätte ich nicht sagen sollen. Ich habe einen schlimmen Tag hinter mir.« Mom schließt die Augen, und ich fühle mich augenblicklich mies. Sie hat nicht viele schlechte Tage. Sie ist optimistisch. Das Glas ist immer halb voll, und das Leben besteht aus Sonnenschein und Blümchen.
Ich gebe mir Mühe, so zu tun, als wäre ich ihrer Meinung. In Wahrheit bin ich verdammt wütend, dass jemand die Hälfte meines Glases verschüttet hat.
»Ist schon okay. Es ist nicht deine Schuld. Ich war gestern lange auf, weil ich diesem Mädchen geholfen habe, daher auch meine Verfassung.«
Als sie das hört, öffnet sie die Augen und blickt mich an. Sofort wird mir mein Fehler bewusst. Ich erwähne ihr gegenüber nie irgendwelche Mädchen, vermutlich, weil ich ohnehin nicht mehr mit ihnen zu tun habe, als mit ihnen in die Kiste zu springen.
Cheyenne hingegen habe ich erwähnt, was nicht meine Art ist, und an diesem Stück Information wird sie festhalten.
Vielleicht täte es ihr sogar gut, an etwas festhalten zu können
.
Diesen Gedanken verwerfe ich sofort wieder, denn wir sind bereits viel zu sehr miteinander verstrickt sind, und das ist das Letzte, was wir beide jetzt gebrauchen können. Für solche Spielchen sind wir zu kaputt.
Zumindest Cheyenne wird irgendwann wieder okay sein. Das sind Leute wie sie immer.
»Ist sie das Mädchen, mit dem du …?«
»Nein.« Ich drehe mich von ihr weg.
»Bist du sicher? Warum willst du mich nicht ansehen, Colton?«
Das hörbare Lächeln in ihrer Stimme, lässt mich beinahe zurücklächeln. Sie ist nicht oft in der Lage, mir ein echtes zu geben – voller Glück und Hoffnung. Dann auch noch wegen einer verdammten Lüge, denn zwischen mir und Cheyenne findet nichts Reales statt.
Ich drehe mich um, um Mom anzusehen. »Weil das lächerlich ist. Tut dir etwas weh? Du hast gesagt, da wäre ein Bluterguss auf deinem …«
»Hör auf, das Thema zu wechseln!«
Ich lasse mich auf die Couch fallen. »Ich bin mir ziemlich sicher, dass du das gemacht hast.«
Ein Teil von mir will weiter über dieses Thema reden. Es ist wie früher. Den Großteil meines Lebens hat es nur mich und meine Mom gegeben, und sie war immer eine Mutter, die es interessiert hat, was ihr Kind beschäftigt und bewegt. Wenn sie Zeit mit mir verbringen konnte und nicht arbeiten musste, dann hat sie das auch getan. Wir sind uns immer nahe gestanden, und so fühlt es sich auch jetzt an. Wie früher, als sie keine Glatze hatte und stürzte, wenn sie aus dem Bett aufgestanden ist.
Daran will ich festhalten.
»Du magst dieses Mädchen!«
So lebhaft habe ich sie seit einer verflucht langen Zeit nicht mehr erlebt.
Sie rollt ihren Stuhl näher an mich heran. »Colton …«
»Ich mag sie nicht, Mom. Mein Gott, du tust ja so, als wären wir zwölf.«
»Wer ist sie?«
Ich weiß es nicht. Wer sind wir schon wirklich? Können wir einen anderen überhaupt jemals richtig kennen? Verdammt, kennen wir uns überhaupt selbst? Darauf habe ich keine Antwort.
»Sie ist eine Freundin.« Ich zucke die Achseln. Vermutlich ist sie das tatsächlich, was das Ganze nicht weniger verwirrend macht. »Da ist nichts. Sie ist nur ein Mädchen von der Uni.«
Dann sind wir beide still, und ich weiß, dass ich sie enttäuscht habe.
Weitere Kostenlose Bücher