Charles Dickens
Gasbeleuchtung installieren und dehnte die Probenzeit auf drei Monate aus. Die Premiere war für den 6. Januar 1857 vorgesehen, der in Dickens’ Familie als Geburtstag des ältesten Sohnes schon immer gefeiert wurde. Für ihn selber aber hatte dieser Tag wohl auch wegen der literarischen Assoziation einen besonderen Reiz; denn für die «zwölfte Nacht» nach Weihnachten hatte einst Shakespeare seine Komödie
Twelfth Night
geschrieben, die man in Deutschland, wo esdiese Tradition am Dreikönigstag nicht gibt, unter dem Titel
Was ihr wollt
kennt. Die Aufführung wurde ein sensationeller Erfolg, und die zum Abschluss gespielte Farce
Animal Magnetism
bot Dickens wieder einmal Gelegenheit, sein komödiantisches Talent voll auszuspielen.
Das Jahr 1857 brachte neben der Arbeit am letzten Drittel von
Little Dorrit
eine Reihe weiterer politischer Scharmützel, die Dickens in seiner Zeitschrift ausfocht. Inzwischen war seine Enttäuschung über die englische Politik so tief geworden, dass er den Glauben an die parlamentarische Demokratie gänzlich verlor. In einem Brief an den Grafen Carlisle, der unter Russell ein Regierungsamt innehatte, bezeichnet er sich selber als a
grievous radical
(ein verbitterter Radikaler).
Am 8. Mai schloss Dickens die letzte Nummer von
Little Dorrit
ab, die im Juni herauskam. Der Verkauf war bis zuletzt so gut, dass ihm jede Nummer rund 600 Pfund einbrachte. Nun stand er wieder vor dem Problem, die postnatale Leere in sich auszufüllen. Eine Gelegenheit dazu bot sich, als sein alter Freund Douglas Jerrold unerwartet im Alter von 54 Jahren starb und eine Witwe mit drei Söhnen zurückließ. Obwohl Jerrolds Familie klar zum Ausdruck gebracht hatte, dass sie nicht auf Unterstützung angewiesen sei, setzte Dickens unverzüglich alles in Bewegung, um für die Hinterbliebenen einen Fonds zusammenzubringen. Zu diesem Zweck gab er am 30. Juni in St. Martin’s Hall vor tausend Zuhörern eine Wohltätigkeitslesung von
A Christmas Carol
. Des weiteren organisierte er eine Subskriptionsaufführung von
The Frozen Deep
in der
Gallery of Illustrations
in der Regent Street.
Eine Einladung der Königin, das Stück im Buckingham Palace aufzuführen, lehnte er jedoch diplomatisch ab, da er unsicher «über den Status seiner Töchter bei Hofe» sei. Die Königin ihrerseits nahm Dickens’ Gegeneinladung an und besuchte eine Sondervorstellung des Stücks am 4. Juli in der Gallery. So kulminierte Dickens’ Karriere mit einem äußerst erfolgreichen Roman und einer Theatervorstellung vor der Königin, während sich an seinem privaten Himmel düstere Wolken zusammenzogen und der Blitz nicht mehr lange auf sich warten ließ.
Den düsteren Himmel konnte auch die Gesellschaft des dänischen Märchenerzählers Hans Christian Andersen nicht aufhellen. Dieser frühe Bewunderer von Dickens hatte seinen englischen Kollegen schon bei seinem ersten Besuch auf der Insel 1847 kennengelernt. Als Dickens dann von ihm einen Brief mit der Ankündigung eines zweiten Besuchserhielt, lud er ihn am 3. April großzügig ein, auf seinem neuerworbenen Landsitz Gad’s Hill sein Gast zu sein. Dabei war von «einer Woche oder vierzehn Tagen» die Rede. Doch am Ende wurde es ein Aufenthalt von fünf Wochen, was Dickens’ Töchter, die den Gast bei Laune halten mussten, zunehmend als Belastung empfanden. Als der berühmte Mann endlich das Haus verließ, steckte Dickens hinter den Spiegel des Gästezimmers eine Karte mit der Aufschrift: «Hans Christian Andersen schlief in diesem Zimmer fünf Wochen lang, die der Familie wie eine Ewigkeit erschienen.»
So sehr Dickens in Andersens Werken eine Seelenverwandtschaft spürte, so wenig konnte er sich mit dem Manne selber anfreunden, der auf seine Mitmenschen linkisch, eitel und voll von weinerlichem Selbstmitleid wirkte. Zudem sprach er kaum Englisch, so dass der
bony bore
, der ‹knochige Langweiler›, wie ihn Dickens’ Tochter Katey bezeichnete, von der ganzen Familie als Störfaktor empfunden wurde. Zu einer weiteren Abkühlung des Verhältnisses zwischen den beiden Autoren kam es drei Jahre später. Andersen hatte nach seiner Heimkehr für eine Kopenhagener Zeitung eine Artikelserie über seinen Besuch bei Dickens geschrieben, aus der
Bentley’s Miscellany
1860 nach Dickens’ Trennung von seiner Frau Auszüge publizierte, in denen Catherine über die Maßen gelobt wurde. Zunächst aber scheint die Abreise des sieben Jahre älteren verknöcherten Dänen in Dickens bloß ein Auf
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