Charlotte Und Die Geister Von Darkling
bedacht, sich nicht zu weit von uns zu entfernen. Er vermied es, die bauchigen Früchte genauer anzublicken, die an den Ästen zuckten. Vor uns bewegte sich etwas, das fester als die träge wirbelnde Dunkelheit war. Es trat in die Mitte des Weges und sank auf ein Knie nieder.
Es war ein Kind, ein Junge von neun oder zehn Jahren. Ertrug eine elegante schwarze Weste. Die Kette einer goldenen Taschenuhr hing an seiner Seite. Sein Gesicht war länglich und schmal mit einer heimlichen Belustigung in den Zügen, doch es hatte auch einen sanften Ausdruck. Das Antlitz war bar aller Falten und Linien und von einer verstörenden Unfertigkeit. Ich nahm an, dass es am Licht lag, aber seine Haut besaß einen orangefarbenen Ton, ähnlich dem eines Pfirsichs. Der Junge erhob sich und drückte einen Finger an die Lippen. Die Kinder folgten seiner wortlosen Aufforderung, still zu sein, als wir ihm den Rest des Weges durch den Obstgarten hinterherliefen.
Die Eingangstüren des großen Hauses standen wie beim ersten Mal offen. Ohne die lähmende Furcht, die ich bei meinem ersten Besuch empfunden hatte, konnte ich mir nun einen besseren Eindruck von dem Ort verschaffen. Die mächtigen Eichentüren zur Eingangshalle waren höher als ein halbes Dutzend Männer übereinander, aber das Vestibül war leer, abgesehen von der großen Treppe, die sich viele Stockwerke emporwand, und den seltsamen glitzernden Platten, welche den Boden bedeckten.
Die Platten direkt an den Wänden waren aus Stein und die daran anschließenden zuerst aus grobem Marmor, die danach aus glasierter Keramik. Die Platten selbst waren unauffällig, aber in der Mitte der Anordnung befand sich ein Mosaik aus Metall- und Glasstücken, deren Farbe sich mit dem Standort des Betrachters veränderte.
Als wir über die verschiedenen Materialien schritten, veränderte sich der Raum. Innerhalb des Steinringes blieb alles leer, wie es zuvor gewesen war, doch als wir den Marmor betraten, begannen die geschmackvoll mit Holz getäfelten Wände mit einer inneren Wärme zu leuchten und komplexe Schnitzereien zu offenbaren, die eine Geschichte zu erzählen schienen. Das Licht drang durch das Muster. Jedes Paneel war wie eine Glasmalerei aus Holz. Der elegante Kristalllüster, der in der Leere über demRaum hing, begann in einer Art flüssigem Feuer zu erstrahlen, dessen Flammen in Glas gefasst waren. Es brach wie das Licht von Sternen hervor, erhellte dunkle Ecken, enthüllte vergoldete Kuriositäten und antike Beistelltische, auf denen glitzernde, unbekannte Dinge zu sehen waren: seltsame Wassertümpel, auf denen sich Wellen kräuselten, und die dennoch nicht auf den Boden hinabtropften oder flossen; ein schillernder Apfel, dessen Schale so glänzend war, dass ihn das Licht, das er einfing, fast durchsichtig erscheinen ließ; das Porträt einer weinenden alten Frau, deren Tränen die Farbe verschmierten; eine Schere, die so scharf war, dass sie das Licht, das auf ihre Klingen fiel, zu durchschneiden schien.
Aber diese Spielereien waren nichts im Vergleich zu der Verwandlung, die in der Mitte des Raumes in dem Mosaik stattfand. Der Boden loderte in einem strahlenden Feuer, das im Rhythmus der unhörbaren Musik des Universums pulsierte, voll Leben und Energie. Es versengte einem nicht die Augen, sondern etwas, das tief in der Seele verborgen war.
Der Anblick verschlug mir den Atem, und die Kinder hielten staunend inne, doch unser junger Führer schob uns vorwärts.
Als wir den nächsten Ring von Platten betraten, die aus glasierter Keramik, verdunkelte sich der Raum. Das flüssige Feuer des Lüsters dehnte sich aus, brach sich in den Kristallen, und füllte die Halle mit einer Farbenpracht, die gleich Nordlichtern schimmerte und tanzte. Die innere Wärme der Wände wich winzigen, hell leuchtenden Rissen im Holz, die schwelten und knackten wie ein sterbendes Feuer, als würden sie jeden Augenblick herabfallen. Die Kuriositäten und Beistelltische in dieser Version des Raumes enthielten andere Objekte: eine kleine silberne Harfe, deren Saiten weiter nichts als dünne Schattenlinien waren; Theatermasken, die unter der Gewalt der Emotionen in ihrem Ausdruck schauderten; eine ledrige Blume, die einemTopf von Diamanten entwuchs; eine schwarze Tintenspur in einer vollen Vase, die ein Gesicht formte, das uns nachdenklich mit offenem Mund beobachtete, als wir vorübergingen … Das Mosaik am Boden entschwand in sich selbst. Das strahlende Feuer wurde zu einem blassroten, mit Gold und Blau
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