Charlotte Und Die Geister Von Darkling
boten, ihn zu behalten, und schreckte vor dunkleren Methoden nicht zurück. Wenn sonst nichts mehr hilft, bleibt noch die Entführung. Ich verdrängte die Stimme aus meinem Kopf, doch sie war schnell wieder zurück. Lily könnte dir behilflich sein. Sie will, dass ihr zusammen seid. Du hast noch nicht verloren. Bei diesen Gedanken schauderte ich, denn ich wollte Henry Darrow nicht gewinnen oder verlieren. Ich wollte, dass er mich liebte.
Ich saß lange in meinem Zimmer und starrte auf meine Sachen. So vieles würde nun nicht mehr geschehen. Die Kinder müssten noch so viel lernen, und ich müsste ihnen noch so viel beibringen. Mein Blick wanderte über die Bücher aus Mr. Whatleys Bibliothek. Ich war dem Kind mit den Schlüssellochaugen seit seiner Flucht in Everton nicht mehr begegnet. Was sah der Junge, wenn er uns beobachtete, und wie würde ich ihn je loswerden? Aber das war ein geringes Problem, verglichen mit dem von Lily Darrow. Wer würde den Buben helfen, von ihrer Mutter Abschied zu nehmen? Wer würde sie vor dem Haus von Darkling beschützen? Die Antwort war im Grunde einfach. Wenn ich entlassen wurde, dann würde ich Mr. Darrow vom Abkommen seiner Frau erzählen. Wenn es stimmte, was Lily sagte, dann würde sich die Tür zwischen Everton und der Endwelt für immer schließen. Und wenn die Buben mich dafür hassen mochten, würde mir das befriedigende Bewusstsein zuteilwerden, dass sie vor den Dingen sicher waren, die ich weder ganz erklären noch verstehen konnte. Aber wer würde mich beschützen?
Er kommt bald, Charlotte.
Lily tat mir leid, denn sie würde nie wissen, was geschehen war, und ich konnte sie nicht vor dem bewahren, was Mr. Whatley mit ihr vorhatte. Aber ich konnte weitere Besuche ohne meine Aufsicht nicht zulassen. Sie wären zu unberechenbar.
Ich holte meine Reisetasche aus dem Kleiderschrank und fing an, meine Sachen bereitzulegen, doch ich konnte mich einfach nicht aufraffen, sie einzupacken, deshalb legte ich alles in Stapeln auf das Bett und sortierte hin und her bis lang nach Einbruch der Nacht, als es an der Tür klopfte. Es war Ellen. Sie sah nervös und müde aus.
»Es geht um Mr. Darrow. Er ist nicht zum Abendessen heruntergekommen, und als Roland ihm das Tablett bringen wollte, war niemand da. Wir haben das ganze Haus abgesucht, konntenihn aber nicht finden. Niemand weiß, wohin er gegangen ist. Was sollen wir tun?«
»Könnte er ins Dorf gefahren sein?«
»Mr. Darrow verlässt das Anwesen nie, wenn er nicht muss, und niemals, ohne jemandem Bescheid zu sagen. Es sieht ihm gar nicht ähnlich.«
»Sind die Pferde alle da?«
»Ja. Auch die Kutschen und Fahrräder. Er kann nicht weit fort sein, wohin immer er gegangen sein mag. Aber bei dem Wetter holt er sich vielleicht den Tod.« Es war noch frostfrei, aber kalt genug, um einen spüren zu lassen, dass der Winteranfang bevorstand. Bald würden die Seen zufrieren, Schnee würde fallen, und das Haus würde sich für die Feiertage herausputzen. Ich hatte mich so darauf gefreut, Weihnachten in Everton zu verbringen.
Ich folgte Ellen in die Küche, wo bereits Roland, Fredericks, Mrs. Norman und Mrs. Mulbus warteten. Wir überlegten gemeinsam, was wir tun konnten und ob wir einen Suchtrupp losschicken sollten. Bevor wir uns auf irgendetwas einigen konnten, läutete die Türglocke, und wir fanden Mr. Darrow, gestützt von Mr. Scott, auf der Schwelle.
»Ich habe ihn am Friedhof gefunden«, erklärte Mr. Scott. »Er muss stundenlang dort gewesen sein.«
Er sah in der Tat sehr blass aus. Ich übernahm ihn vom Pfarrer und legte seinen Arm um meine Schultern. Er konnte gehen, aber nur so gerade eben. Ich brachte ihn in sein Schlafzimmer hinauf, währen Ellen den Ofen einheizte.
»Was haben Sie sich nur zugemutet?«, flüsterte ich, als ich ihn zu Bett brachte.
»Sie ist fort«, war alles, was er sagte, bevor er einschlief. Seine Stirn wurde heiß, deshalb ließ ich Dr. Barberry holen, der viel Flüssigkeit und viel Ruhe verordnete. Henry musste ein paar Tage das Bett hüten, und ich pflegte ihn alleine, ganz egal, wieunschicklich man es im Haus finden mochte. Das Personal konnte klatschen, so viel es wollte, ich würde Henry pflegen, bis er wieder gesund war, und dann würde ich abreisen.
Eine Woche, nachdem er krank geworden war, fand ich sein Bett leer vor, als ich ihm das Frühstück bringen wollte. Ich ging nach unten. Er befand sich mit den Kindern im Esszimmer. Ich wollte umkehren, bevor er mich sah, doch es war zu spät.
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