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Charlotte Und Die Geister Von Darkling

Charlotte Und Die Geister Von Darkling

Titel: Charlotte Und Die Geister Von Darkling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Boccacino
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einer Kathedrale mit gewölbter Decke glich. Ein Bett befand sich an der gegenüberliegenden Wand, das den Eindruck eines Altars vermittelte. Es wirkte ziemlich lächerlich und passte doch ganz und gar zu jemandem seines Charakters.
    »Würden Sie gern meine wirkliche Sammlung sehen?«
    »Das war sie noch nicht?«
    »Natürlich nicht. Ein wahrer Sammler stellt seine kostbarsten Stücke nicht aus.« Er schritt zur Wand hinter dem Bett und bediente eine Vorrichtung, die eine geheime Tür öffnete. Er glitt hindurch, und seine Züge verschwanden in der Dunkelheit. Ich folgte ihm, denn ich wusste, dass er mir nichts antun würde. Er würde unser Spiel nicht ohne einen wahrhaft grandiosen Paukenschlag beenden. Dessen war ich gewiss.
    Das geheime Zimmer war eine Miniaturausgabe der Bibliothek, doch statt Büchern enthielt sie eine große Zahl von Personen. Jede von ihnen stand reglos auf einem beschrifteten Sockel. Sie hatten die Augen geschlossen, als ob sie schliefen und drauf warteten, aus einem langen, traurigen Traum geweckt zu werden. Da standen Männer und Frauen, alt und jung, schön undschlicht, von verschiedensten Farben und Größen, etwas für jede Gelegenheit. Ich brauchte nicht lange, um Lily zu finden. Wie die anderen stand sie auf ihrem Sockel wie eine lebende Puppe. Ihr Kinn ruhte auf der Brust. Bei ihrem Anblick schoss mir das Blut vor Zorn ins Gesicht.
    Hier also schläft sie.
    »Was sagen Sie?« Mr. Whatleys gewöhnlich schwarze und seelenlose Augen besaßen in der Dunkelheit des Raumes einen unmenschlichen silbergrünen Schimmer.
    »Es ist abscheulich«, sagte ich gepresst.
    »Ja, vielleicht ein wenig. Aber alle sind vollkommen freiwillig hier.«
    »Das finde ich sogar noch schlimmer.«
    »Das sind allesamt Menschen von außerordentlichem Charakter. Sie taten, was sie tun mussten, um das zu bekommen, was sie ersehnten.«
    »Und was war das?«
    »Das kommt darauf an. Sie alle hatten verschiedene Wünsche. Was würden Sie sich am meisten wünschen, Mrs. Markham?«
    »Sie zu befreien.« Ich deutete auf Lily. »Und Sie zu vernichten.«
    Mr. Whatley lachte unterdrückt, und der Laut hallte durch den Raum.
    »Mit diesem letzten Wunsch sind Sie nicht allein. Lebende Menschen in der Endwelt beginnen Mr. Ashbys Freunden   … Unbehagen zu bereiten.«
    »Ich habe nicht vor zu bleiben, nachdem ich Ihnen das Handwerk gelegt habe.«
    Er zog eine Braue hoch, und das Dauerfeixen seines Gesichtes wechselte zu einem Ausdruck der Gier.
    »Eine interessante Behauptung.«
    »Es ist keine Behauptung. Es ist ein Versprechen.«
    »Ein sehr gefährliches.«
    »Sie machen mir keine Angst.«
    »Vielleicht sollte ich das aber.« Er trat dicht an mich heran, nah genug, um mit seinen großen Händen eine Haarsträhne aus meinem Gesicht zu streichen. Seine Berührung fühlte sich ganz anders an als die Henrys – gröber und ohne jede Emotion. Aber machtvoll, wie seine Stimme und seine Augen, die mir den Willen zu rauben drohten. Ich wagte nicht, mich zu bewegen.
    »Alles, was ich je geliebt habe, ist mir Stück für Stück, Jahr für Jahr genommen worden. Und jetzt, da ich hier stehe, habe ich nichts mehr zu fürchten.«
    »Sie halten sich wohl für sehr klug, aber ich bin älter, als Sie sich je vorstellen könnten, und ebenso mächtig. Das Einzige, was Sie haben und ich nicht, ist der Tod   … was manche für einen Nachteil halten. Glauben Sie wirklich, dass das gut ausgehen wird?«
    »Nicht für Sie.«
    »Ich habe keine Angst, zu verlieren, solange es auch alle anderen tun. Das sollten Sie sich gut merken, Mrs. Markham.«
    »Aber so läuft das nicht. Jemand muss gewinnen.«
    »In der Tat. Wer glauben Sie wird das sein? Sie oder ich?«
    »Ich schätze, wir werden es bald genug herausfinden.« Ich drehte mich um, sicher, dass er mir nichts antun würde, während ich ihm den Rücken zuwandte, und ging zur Tür.
    »Viel Glück, Mrs. Markham. Ich kann kaum erwarten, was als Nächstes geschehen wird.«
    Während des ganzen Weges durch den langen Raum spürte ich seine Blicke in meinem Rücken, aber ich wollte mich nicht umdrehen, um zu sehen, ob er mir folgte. Ich erreichte die Tür zur Bibliothek und schloss sie hinter mir. Der Ort hatte alles Tröstliche verloren, das er einmal geboten hatte. Ich kehrte in mein Zimmer zurück, überzeugte mich aber zuvor, dass die Buben noch sicher in ihren Betten schliefen; unberührt und ungequält von der Vorstellung, was ihre Mutter auf sich genommen haben mochte, um sie wiedersehen zu

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