Charlston Girl
»Das denke ich nicht! Ich denke nur... na ja...«
»Dass ich eine verwöhnte Ziege bin?« Sie nimmt einen Schluck Champagner. »Mach nur. Sag es mir.«
Meine Gedanken zucken hin und her. Diamanté hat mich noch nie nach meiner Meinung gefragt. Sollte ich ehrlich sein?
»Ich denke nur...« Ich zögere, dann lege ich los. »Wenn du vielleicht ein paar Jahre gewartet und das alles allein geschafft hättest, wenn du das Handwerk gelernt und dich hochgearbeitet hättest, würdest du dich dann nicht besser fühlen?«
Diamanté nickt langsam, als würden meine Worte zu ihr durchdringen.
»Ja«, sagt sie schließlich. »Ja, das könnte ich machen. Aber das wäre ganz schön hart.«
»Ah... also, darum geht es ja gerade.«
»Und dann hätte ich einen ekelhaften Pisser von einem Vater, der sich für Gott persönlich hält und uns alle zwingt, in seiner bescheuerten Doku aufzutreten... für nichts! Was hätte ich davon?« Sie breitet ihre dünnen, braungebrannten Arme aus.
»Was?«
Okay. Diese Diskussion möchte ich nicht führen. »Da hast du bestimmt recht«, sage ich hastig. »Also, wegen dieser Libelle...«
»Weißt du, mein Dad hat rausgefunden, dass du heute kommst.« Diamanté hört mich überhaupt nicht. »Er hat mich angerufen. Und er so: ›Wie kommt die auf die Liste? Nimm sie runter‹. Und ich so: ›Leck mich! Sie ist meine Cousine oder so was‹.«
Da setzt mein Herz kurz aus.
»Dein Dad... wollte mich nicht hierhaben?« Ich lecke über meine trockenen Lippen. »Hat er gesagt, wieso?«
»Ich hab ihm gesagt: Ist mir doch egal, ob sie ein bisschen gaga ist!« Diamanté blickt glatt durch mich hindurch. »Scheiße, sei mal ein bisschen tolerant! Und dann fing er von dieser Kette an.« Sie reißt die Augen weit auf. »Er hat mir alles Mögliche zum Tausch angeboten. Aber ich so: »Komm mir nicht so gönnerhaft mit Tiffany. Ich bin Designerin, okay? Ich habe eine Vision.«
Das Blut pocht laut in meinen Ohren. Onkel Bill ist immer noch hinter Sadies Kette her. Ich begreife nicht, wieso. Ich weiß nur, dass ich sie irgendwie in die Finger kriegen muss.
»Diamanté.« Ich nehme sie bei den Schultern. »Hör zu, bitte. Diese Kette bedeutet mir wirklich sehr viel. Meiner Mum. Ich weiß deine Vision als Designerin total zu schätzen und alles... aber nach der Show, kann ich sie da haben?«
Einen Moment sieht Diamanté so leer aus, dass ich schon denke, gleich muss ich ihr das alles noch mal erzählen. Dann legt sie mir einen Arm um den Hals und drückt fest zu.
»Klar kannst du, Babe. Sobald die Show vorbei ist, gehört sie dir.«
»Wunderbar.« Ich versuche, mir nicht anmerken zu lassen, wie erleichtert ich bin. »Wunderbar! Das ist wunderbar! Und wo ist sie jetzt gerade? Könnte ich sie... sehen?«
In derselben Sekunde, in der ich das Ding in Reichweite habe, schnappe ich es mir und renn weg. Ich gehe kein Risiko mehr ein.
»Klar! Lyds?« Diamanté ruft ein Mädchen im gestreiften Top. »Weißt du, wo diese Libellenkette ist?«
»Was, Babe?« Lyds kommt herüber, mit einem Handy in der Hand.
»Diese echte, alte Kette mit der süßen Libelle. Weißt du, wo die ist?«
»Mit einer Doppelreihe gelber Glasperlen«, stimme ich eifrig mit ein. »Libellenanhänger, fällt etwa bis hier...«
Zwei Models kommen vorbei, mit hundert Ketten um den Hals, und ich starre sie verzweifelt an.
Lyds zuckt salopp mit den Schultern. »Kann mich nicht erinnern. Muss irgendwo an einem der Mädchen hängen.«
Irgendwo im Heuhaufen. Hilflos sehe ich mich um. Alles voller Models. Alles voller Ketten.
»Ich such sie selbst«, sage ich. »Wenn du nichts dagegen hast...«
»Vergiss es! Die Show fängt gleich an!« Diamanté schiebt mich zur Tür. »Lyds, nimm sie mit! Setz sie in die erste Reihe! Da wird Dad dicke Backen machen.«
»Aber...«
Zu spät. Schon hat man mich hinausgeschoben.
Als sich die Türen schließen, bebe ich vor Frust. Da drinnen ist sie. Irgendwo in diesem Raum hängt Sadies Kette um den Hals eines Models. Verdammt, aber um welchen?
»Ich kann sie nicht finden.« Plötzlich taucht Sadie neben mir auf. Zu meinem Entsetzen ist sie den Tränen nah. »Ich habe mir jedes einzelne Mädchen angesehen. Ich habe mir alle Ketten angesehen. Sie ist nicht da.«
»Sie muss aber!«, zische ich, als wir durch den Korridor zurückgehen. »Sadie, hör zu. Ich bin mir sicher, dass eines der Models sie trägt. Wir sehen uns jedes einzelne genauestens an, wenn sie gleich vor uns auf und ab laufen. Wir werden die
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