Charlston Girl
nimmt ihr winziges, juwelenbesetztes Handy und wählt eine Nummer.
»Irgendeine Cousine will zu Diamanté. Ist sie da?« Sie gibt sich keine Mühe, leise zu sprechen. »Nein. Hab sie noch nie gesehen. Na gut, wenn du meinst...« Sie steckt ihr Handy weg. »Diamanté sagt, Sie sollen nach hinten kommen. Da entlang!« Sie deutet auf eine Tür.
»Geh nur!«, flüstere ich Sadie zu. »Sieh nach, ob du die Kette hinter der Bühne siehst! Sie müsste leicht zu finden sein!« Ich folge einem Burschen mit einer Kiste Moét über den flauschigen Teppich des Korridors und zeige gerade einem Türsteher meinen VIP-Backstage-Pass, als Sadie wieder auftaucht. »Leicht zu finden?«, sagt sie mit zitternder Stimme. »Du machst wohl Witze! Wir werden sie nie finden! Nie im Leben!«
»Was meinst du?«, sage ich sorgenvoll, als ich eintrete. »Was willst du damit...«
Oh nein. Oh nein, oh nein.
Ich stehe in einem Riesenraum voller Spiegel und Stühle und pustender Föhne und plappernder Maskenbildner und etwa dreißig Models. Alle sind groß und dünn, lümmeln auf ihren Stühlen oder rennen mit ihren Handys herum. Alle tragen knappe, halb durchsichtige Kleider. Und alle tragen mindestens zwanzig Ketten um den Hals. Ketten, Perlen, Anhänger... Wohin ich auch blicke, sehe ich Ketten. Ein Heuhaufen von Halsketten.
Sadie und ich sehen uns entsetzt an, als ich eine leiernde Stimme höre.
»Lara! Da bist du ja!«
Ich fahre herum und sehe Diamanté, die auf mich zugetaumelt kommt. Sie trägt einen winzigen Rock voller Herzchen, eine dünne Weste, einen silbernen, mit Nieten besetzten Gürtel und Lackstiefeletten mit hohen Absätzen. Sie hält zwei Champagnergläser in Händen und bietet mir eins an.
»Hi, Diamanté. Herzlichen Glückwunsch! Vielen Dank für die Einladung. Das ist ja toll hier!« Ich deute in die Runde, dann hole ich tief Luft. Das Wichtigste ist, dass ich nicht allzu verzweifelt oder notleidend wirke. »Also, jedenfalls.« Ich bemühe mich darum, ganz locker zu klingen. »Ich muss dich um einen Riesengefallen bitten. Du kennst doch diese Libellenkette, die dein Vater haben wollte? Die alte mit den Glasperlen?«
Diamanté zwinkert überrascht. »Woher weißt du davon?«
»Ah... lange Geschichte. Jedenfalls hat sie ursprünglich Tante Sadie gehört, und meine Mum mochte sie immer so gern. Ich wollte sie damit überraschen.« Ich kreuze alle meine Finger hinter dem Rücken. »Ob ich sie vielleicht nach der Show... äh... haben könnte? Unter Umständen? Falls du sie nicht mehr brauchst?«
Diamanté starrt mich einen Moment lang an. Das blonde Haar wallt über ihren Rücken. Ihre Augen sind ganz glasig.
»Mein Dad ist ein Pisser, sagt sie schließlich.
Unsicher sehe ich sie an, bis der Groschen fällt. Na, toll. Sie ist besoffen. Wahrscheinlich hat sie schon den ganzen Tag Champagner getrunken.
»Er ist ein elender... Pisser.« Sie kippt ihren Champagner.
»Ja«, sage ich eilig. »Das ist er. Und deshalb musst du mir die Kette geben. Mir«, wiederhole ich laut und deutlich.
Diamanté schwankt auf ihren lackierten Stiefeletten, und ich nehme ihren Arm, um sie zu stützen.
»Die Libellen-Kette«, sage ich. »Weißt du, wo sie ist?«
Diamanté mustert mich und beugt sich so weit vor, dass ich Champagner und Zigaretten und Pfefferminzbonbons in ihrem Atem riechen kann.
»Hey, Lara, wieso können wir nicht Freunde sein? Ich meine, du bist doch cool.« Sie runzelt leicht die Stirn, dann räumt sie ein: »Nicht cool, aber... du weißt schon. Okay. Wieso hängen wir nicht mal zusammen ab?«
Weil du meistens in eurer protzigen Villa auf Ibiza abhängst und ich meistens am falschen Ende von Kilburn? Vielleicht deshalb?
»Ah... weiß nicht. Sollten wir machen. Wäre toll.«
»Wir sollten uns zusammen die Haare verlängern lassen!«, sagt sie, als hätte sie gerade eine Inspiration. »Ich gehe immer zu diesem einen Laden. Die machen einem auch die Nägel. Die sind irgendwie voll organisch und ökologisch.«
Ökologische Haarverlängerungen?
»Absolut.« Ich nicke so überzeugend wie möglich. »Das sollten wir unbedingt machen. Haarverlängerung. Super.«
»Ich weiß, was du von mir denkst, Lara.« Plötzlich ist sie für einen kurzen Moment ganz klar. »Glaub nicht, dass ich es nicht wüsste.«
»Was?« Ich bin erstaunt. »Ich denke überhaupt nichts.«
»Du denkst, ich liege meinem Dad auf der Tasche. Weil er das alles hier bezahlt hat. Oder so was in der Art. Sei ehrlich.«
»Nein!«, sage ich verlegen.
Weitere Kostenlose Bücher