Charlston Girl
vereinbart. Ich fürchte, mir sind die Hände gebunden.«
»Was wäre, wenn ich mit der Polizei und meinem Anwalt wiederkäme?« Ich stemme die Fäuste in die Hüften. »Was wäre, wenn ich das Gemälde als gestohlen melde und Sie zwinge, den Namen preiszugeben?«
Malcolm Gledhill zieht seine buschigen Augenbrauen hoch. »Wenn es zu polizeilichen Ermittlungen käme, müssten wir uns natürlich fügen.«
»Na gut. Das wird passieren. Sie sollten vielleicht wissen, dass ich gute Freunde bei der Polizei habe«, füge ich unheilschwanger hinzu. »Detective Inspector James. Der interessiert sich bestimmt dafür. Dieses Bild gehörte Sadie, und jetzt gehört es meinem Dad und seinem Bruder. Und wir werden bestimmt nicht rumsitzen und abwarten, was passiert.«
Ich bin ganz aufgedreht. Ich werde dieser Sache auf den Grund gehen. Gemälde verschwinden nicht so einfach.
»Ich kann Ihre Sorge verstehen.« Malcolm Gledhill zögert. »Glauben Sie mir, das Museum nimmt rechtmäßige Besitzansprüche sehr ernst.«
Er will mir nicht in die Augen sehen. Sein Blick zuckt immer wieder auf das Blatt Papier in seiner Hand. Dort steht der Name. Ich weiß es genau. Ich könnte mich auf den Tisch werfen und ihn niederringen und... Nein.
»Danke, dass Sie sich die Zeit genommen haben«, sage ich förmlich. »Ich melde mich bei Ihnen.«
»Gern.« Malcolm Gledhill klappt die Akte zu. »Bevor Sie gehen... dürfte ich kurz meinen Kollegen Jeremy Mustoe rufen? Er möchte Sie bestimmt kennenlernen und sich das Foto Ihrer Großtante ansehen...«.
Einen Moment später kommt ein hagerer Mann mit durchgescheuerten Manschetten und auffälligem Adamsapfel herein, stürzt sich auf Sadies Foto und sagt immer wieder leise: »Bemerkenswert!«
»Es war extrem schwierig, irgendwas über dieses Bild in Erfahrung zu bringen«, sagt Jeremy Mustoe, als er schließlich aufblickt. »Es gibt nur noch wenige zeitgenössische Akten oder Fotos, und als unsere Rechercheure in dieses Dorf kamen, war mehr als ein halbes Jahrhundert vergangen und keiner konnte sich mehr an irgendwas erinnern. Und natürlich nahm man an, dass das Modell tatsächlich Mabel hieß...« Er runzelt die Stirn. »Ich meine, Anfang der Neunziger kam die Theorie auf, eine Dienerin der Nettietons habe Malory Modell gesessen und seine Eltern seien mit der Liaison nicht einverstanden gewesen, was dazu führte, dass man ihn nach Frankreich schickte...«
Ich lach mich kaputt. Irgendjemand hat eine völlig falsche Geschichte erfunden und das Ganze dann »Recherche« genannt?
»Es gab da eine Mabel«, erkläre ich geduldig. »Aber die hat ihm nie Modell gesessen. Stephen nannte Sadie ›Mabel‹, um sie damit aufzuziehen. Die beiden waren ein Liebespaar«, füge ich hinzu. »Deshalb wurde er nach Frankreich geschickt.«
»Was Sie nicht sagen...« Jeremy Mustoe blickt auf und betrachtet mich mit neuerlichem Interesse. »Also... wäre Ihre Großtante dann auch die ›Mabel‹ in den Briefen?«
»Die Briefe!«, ruft Malcolm Gledhill. »Natürlich! Die habe ich ja ganz vergessen! Es ist schon so lange her, dass ich einen Blick darauf geworfen habe...«
»Briefe?« Ich blicke von einem zum anderen. »Was für Briefe?«
»In unserem Archiv befindet sich ein Bündel mit alten Briefen, die Malory verfasst hat«, erklärt Jeremy Mustoe. »Nur ganz wenige Dokumente sind nach seinem Tod gerettet worden. Es ist nicht klar, ob sie abgeschickt wurden, und - falls ja - welche, aber ein Brief wurde offensichtlich von der Post befördert und zurückgeschickt. Unglücklicherweise war die Adresse mit blauer Tinte geschrieben und trotz modernster Technik waren wir nicht in der Lage...«
»Entschuldigen Sie, wenn ich Sie unterbreche...«, falle ich ihm ins Wort, versuche, meine Aufregung zu verbergen. »Aber... dürfte ich die mal sehen?«
Eine Stunde später spaziere ich aus dem Museum, und in meinem Schädel dreht sich alles. Wenn ich die Augen schließe, sehe ich nur noch diese verblasste, geschwungene Handschrift auf dem winzig kleinen Briefpapier.
Ich habe nicht alle seine Briefe gelesen. Es schien mir zu intim, und außerdem hatte ich sowieso nur ein paar Minuten Zeit, sie mir anzusehen. Aber ich habe genug gelesen. Ich weiß Bescheid. Er hat sie geliebt. Selbst noch, als er in Frankreich war. Selbst noch, nachdem er wusste, dass sie einen anderen geheiratet hatte.
Ihr Leben lang hat Sadie auf Antwort gewartet. Und jetzt weiß ich: er auch. Und obwohl diese Affäre vor über siebzig Jahren stattfand,
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