Charlston Girl
haben unsere Pizzen bestellt und stopfen heißes Knoblauchbrot in uns hinein, und ich bin froh und glücklich.
Selbst als Tonya kommt, lasse ich mich nicht stressen. Es war Mums und Dads Idee, sie einzuladen, und ehrlich gesagt, auch wenn sie mich auf die Palme bringt, gehört sie doch zur Familie. Langsam begreife ich, was das bedeutet.
»Oh mein Gott!« Ihre schrille Begrüßung schneidet durch das Restaurant, und etwa zwanzig Köpfe drehen sich um. »Oh mein Gott! Könnt ihr das glauben , das mit Onkel Bill?«
Als sie an unseren Tisch kommt, erwartet sie offenbar etwas mehr Reaktion.
»Hi, Tonya«, sage ich. »Wie geht es den Jungs? Und Clive?«
»Könnt ihr das glauben ?«, wiederholt sie und wirft uns allen missvergnügte Blicke zu. »Habt ihr die Zeitungen gesehen? Ich meine, das kann doch nicht wahr sein. Das ist doch eine Erfindung der Klatschpresse. Da will ihm doch jemand eins auswischen.«
»Ich glaube, es stimmt«, erwidert Dad milde. »Ich glaube, er hat es selbst zugegeben.«
»Aber habt ihr gesehen, was sie über ihn schreiben?«
»Ja.« Mum nimmt ihren Valpolicella. »Haben wir. Wein, Liebes?«
»Aber...« Tonya sinkt auf einen Stuhl und blickt bestürzt in die Runde. Sie dachte wohl, wir würden alle für Onkel Bill auf die Barrikaden gehen. Nicht fröhlich Knobibrot mampfen.
»Schön, dass du da bist.« Mum tätschelt ihren Arm. »Wir besorgen dir eine Speisekarte.«
Ich sehe, wie Tonyas Hirn arbeitet, während sie ihre Jacke aufknöpft und über ihren Stuhl hängt. Ich sehe, dass sie die Lage neu sondiert. Sie wird sich nicht für Onkel Bill in die Bresche werfen, wenn niemand anderes es tut.
»Und wer hat das alles aufgedeckt?«, fragt sie schließlich und nimmt einen Schluck Wein. »Irgendein Enthüllungsjournalist?«
»Lara«, sagt Dad mit leisem Lächeln.
»Lara?« Sie wird immer ärgerlicher. »Was soll das heißen -Lara?«
»Ich hab das mit Großtante Sadie und dem Bild herausgefunden«, erkläre ich. »Ich habe zwei und zwei zusammengezählt. Ich war das.«
»Aber...« Ungläubig bläst Tonya die Wangen auf. »Aber von dir war in der Zeitung nicht die Rede.«
»Ich halte mich lieber bedeckt«, sage ich geheimnisvoll wie ein Superheld, der namenlos im Dunkel verschwindet und als Belohnung nur die Gewissheit braucht, Gutes getan zu haben.
Obwohl, wenn ich ehrlich sein soll, hätte ich es schon toll gefunden, in den Zeitungen erwähnt zu werden. Aber niemand hat sich die Mühe gemacht, mich zu interviewen, obwohl ich mir extra die Haare geglättet habe, für alle Fälle. In den Meldungen stand nur: »Ein Familienmitglied machte die Entdeckung.«
Familienmitglied. Hmpf.
»Aber ich begreife es nicht.« Tonyas böse, blaue Augen sind auf mich gerichtet. »Wieso hast du überhaupt herumgebohrt?«
»Ich hatte so ein Gefühl, dass irgendwas mit Großtante Sadie nicht stimmte. Aber es wollte ja keiner auf mich hören«, füge ich noch an. Ich kann es mir nicht verkneifen. »Bei der Trauerfeier dachten alle, ich wäre verrückt geworden.«
»Du hast gesagt, sie wäre ermordet worden«, hält Tonya dagegen. »Sie wurde nicht ermordet.«
»Ich hatte das unbestimmte Gefühl, dass da irgendetwas im Argen ist«, sage ich würdevoll. »Also habe ich es vorgezogen, meine Nachforschungen auf eigene Faust anzustellen. Und nach einigen Recherchen fand ich sie bestätigt.« Alle hängen an meinen Lippen, als hielte ich eine Vorlesung an der Uni. »Daraufhin bin ich an Experten der London Portrait Gallery herangetreten, und die haben meine Entdeckung verifiziert.«
»Das haben sie allerdings.« Dad lächelt mich an.
»Und weißt du was?«, füge ich stolz hinzu. »Die lassen das Bild schätzen, und Onkel Bill gibt Dad die Hälfte!«
»Ist nicht wahr.« Tonya schlägt die Hand vor den Mund. »Ist nicht wahr! Wie viel wird das sein?«
»Millionen offenbar.« Dad ist nicht wohl in seiner Haut. »Bill besteht darauf.«
»Er ist es dir schuldig, Dad«, sage ich zum hunderttausendsten Mal. »Er hat es dir gestohlen. Er ist ein Dieb!«
Tonya ist sprachlos. Sie nimmt sich Knobibrot und reißt mit den Zähnen ein Stück ab.
»Habt ihr den Leitartikel in der Times gesehen?«, sagt sie schließlich. »Brutal.«
»Der war wirklich hart.« Dad verzieht das Gesicht. »Bill tut uns doch leid, trotz allem...«
»Nein, tut er nicht!«, unterbricht Mum. »Denk an dich selbst.«
»Pippa!« Dad ist entgeistert.
»Er tut mir kein bisschen leid.« Trotzig blickt sie in die Runde. »Ich bin nur...
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