Charlston Girl
solcher Schock. Er hat per E-Mail Schluss gemacht. Per E-Mail.
»Dabei weiß ich, dass er mich immer noch mag.« Ich beiße mir auf die Unterlippe. »Ich meine, die bloße Tatsache, dass er nicht mit mir reden will, beweist es doch! Er hat Angst und läuft vor mir weg. Oder es gibt irgendeinen anderen Grund, von dem ich nichts weiß... Ich fühle mich so machtlos.« Ich spüre, wie mir die Tränen in die Augen steigen. »Wie soll ich was retten, wenn er nicht mit mir spricht? Wie kann ich irgendetwas wiedergutmachen, wenn ich nicht weiß, was er denkt? Ich meine, wie siehst du das?«
Schweigen. Ich blicke auf und sehe, dass Sadie mit geschlossenen Augen dasitzt und leise vor sich hin summt.
»Sadie? Sadie?«
»Oh!« Sie blinzelt mich an. »Entschuldige, ich döse immer ein, wenn Leute schwadronieren.«
Schwadronieren ?
»Ich habe nicht schwadroniert!«, sage ich entrüstet. »Ich habe dir von meiner Beziehung erzählt!«
Sadie betrachtet mich fasziniert.
»Du bist schrecklich ernst , oder?«, sagt sie.
»Nein, bin ich nicht«, sage ich und finde mich sofort in der Defensive wieder. »Was soll das heißen?«
»Als ich so alt war wie du... wenn sich damals ein Junge schlecht benahm, hat man dessen Namen einfach von seiner Tanzkarte gestrichen.«
»Na, denn...« ich gebe mir Mühe, nicht allzu herablassend zu klingen. »Das hier ist wichtiger als Tanzkarten. Hier geht es um mehr.«
»Meine beste Freundin Bunty wurde von einem jungen Mann namens Christopher an einem Silvesterabend wirklich mies behandelt. In einem Taxi, ja?« Sadies Augen werden groß. »Sie hat nur kurz geheult, sich die Nase frisch gepudert und dann Halali! Noch vor Ostern war sie verlobt!«
»Halali?« Ich kann mir den Spott nicht verkneifen. »Das ist deine Haltung Männern gegenüber? Halali?«
»Wieso denn nicht?«
»Was ist mit gleichberechtigten Beziehungen? Was ist mit dem Bekenntnis zueinander?«
Sadie ist verblüfft. »Wieso redest du dauernd von einem Bekenntnis? Meinst du ein religiöses Bekenntnis, oder was?«
»Nein!« Ich versuche, die Ruhe zu bewahren. »Ich meine... warst du je verheiratet?«
Sadie zuckt mit den Schultern. »Ich war kurz verheiratet. Wir hatten zu oft Streit. Es war anstrengend, und irgendwann fragt man sich doch, wieso man den Kerl eigentlich mal mochte. Also habe ich ihn verlassen. Ich bin ins Ausland gegangen, in den Orient. Das war 1933. Während des Krieges hat er sich von mir scheiden lassen. Hat mich des Ehebruchs bezichtigt«, fügt sie fröhlich hinzu, »aber die Welt war viel zu beschäftigt, um daraus damals einen Skandal zu machen.«
In der Küche plingt die Mikrowelle, um mir mitzuteilen, dass meine Lasagne fertig ist. Ich gehe hinüber, und all die neuen Details summen in meinem Kopf herum. Sadie war geschieden. Sie hat sich herumgetrieben. Sie hat im »Orient« gelebt.
»Meinst du damit den Nahen Osten?« Ich nehme meine Lasagne heraus und gebe etwas Salat auf den Teller. »Denn das sagen wir heutzutage dazu. Und übrigens: Wir arbeiten an unseren Beziehungen.«
»Arbeiten?« Sadie steht plötzlich neben mir und rümpft die Nase. »Das klingt nicht besonders lustig. Vielleicht seid ihr deshalb auch nicht mehr zusammen.«
»Das stimmt nicht!« Am liebsten würde ich ihr eine scheuern, so genervt bin ich. Sie begreift überhaupt nichts.
»Weight Watchers «, liest sie auf meiner Lasagne-Schachtel. »Was bedeutet das?«
»Es bedeutet kalorienarm «, sage ich etwas widerwillig, weil ich die übliche Predigt erwarte, die Mum mir über fettreduzierte Fertiggerichte hält, und darüber, dass ich absolut normal bin und Mädchen heutzutage von ihrem Gewicht besessen sind.
»Ach, du machst Diät.« Sadies Augen leuchten auf. »Du solltest die Hollywood-Diät machen. Da gibt es acht Grapefruits täglich, schwarzen Kaffee und ein hart gekochtes Ei. Und reichlich Zigaretten. Ich habe es einen Monat durchgehalten. Die Pfunde sind nur so gepurzelt. Ein Mädchen aus meinem Dorf hat behauptet, sie hätte Bandwurmpillen genommen«, fügt sie träumerisch hinzu. »Aber sie wollte uns nicht verraten, woher sie die hatte.«
Angeekelt starre ich sie an. »Bandwurmpillen?«
»Die Würmer fressen alles auf. Geniale Idee.«
Ich setze mich und betrachte meine Lasagne, aber ich habe keinen Appetit mehr. Zum Teil, weil ich die Vorstellung von Bandwürmern nicht wieder loswerde. Und zum Teil, weil ich seit Ewigkeiten nicht mehr so offen über Josh gesprochen habe. Ich bin aufgewühlt und
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