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Charlston Girl

Charlston Girl

Titel: Charlston Girl Kostenlos Bücher Online Lesen
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sie den Kopf. »Aber er ist göttlich. Er hat in einem der großen Räume gesprochen, als ich gerade durchkam. Er sieht aus wie Rudolph Valentino.«
    »Wie wer?«, sage ich arglos.
    »Der Filmstar natürlich! Groß und dunkel und schneidig. Sofortiges Britzeln.«
    »Klingt gut«, sage ich abwesend.
    »Und er hat genau die richtige Größe«, fährt Sadie fort und schwingt ihre Beine auf einen Barhocker. »Ich habe es ausprobiert. Mein Kopf würde beim Tanzen perfekt auf seiner Schulter ruhen.«
    »Super.« Ich habe mir alles notiert, nehme meine Tasche und stehe auf. »Okay, ich muss ins Büro und die Sache hier klären.«
    Ich gehe hinaus und laufe zur U-Bahn, doch plötzlich verstellt mir Sadie den Weg.
    »Ich will ihn!«
    »Bitte?« Ich mustere sie.
    »Den Mann, den ich eben gesehen habe. Ich habe es gespürt, genau hier. Das Britzeln.« Sie drückt auf ihren nicht vorhandenen Bauch. »Ich möchte mit ihm tanzen.«
    Soll das ein Witz sein?
    »Ja, das wäre nett«, sage ich schließlich beschwichtigend. »Aber ich muss jetzt wirklich ins Büro...«
    Als ich einen Schritt nach vorn tun will, versperrt mir Sadie den Weg mit ihrem nackten Arm.
    »Weißt du, wie lange es her ist, seit ich das letzte Mal getanzt habe?«, sagt sie plötzlich leidenschaftlich. »Weißt du, wie lange es her ist, seit ich das letzte Mal... meinen booty geschüttelt habe? All die Jahre gefangen im Körper einer alten Frau. In einem Heim ohne Musik, ohne Leben...«
    Mich packt das schlechte Gewissen, als ich an das Foto von Sadie denke, steinalt und faltig in ihrem pinken Schultertuch.
    »Okay«, sage ich eilig. »Meinetwegen. Also tanzen wir zu Hause. Wir legen uns Musik auf, machen schummriges Licht, feiern eine kleine Party...«
    »Ich will nicht zu Hause vor dem Radio tanzen!«, sagt sie abfällig. »Ich möchte mit einem Mann ausgehen und mich amüsieren!«
    »Du möchtest ein Date, sage ich ungläubig, und ihre Augen leuchten auf.
    »Ja! Genau! Ein Date mit einem Mann. Mit ihm.« Sie zeigt auf das Gebäude gegenüber. Hat sie immer noch nicht begriffen, dass sie ein Geist ist?
    »Sadie, du bist tot.«
    »Ich weiß!«, sagt sie genervt. »Du musst mich nicht ständig daran erinnern!«
    »Also kannst du dich nicht mit einem Mann verabreden. Tut mir leid. Aber so ist es nun mal.« Ich zucke mit den Schultern und will weitergehen. Zwei Sekunden später taucht Sadie wieder direkt vor mir auf, mit zusammengebissenen Zähnen.
    »Frag ihn für mich.«
    »Was?«
    »Ich kann es nicht allein.« Sie spricht schnell, klingt wild entschlossen. »Ich brauche eine Vermittlerin. Wenn du mit ihm ausgehst, kann ich mit ihm ausgehen. Wenn du mit ihm tanzt, kann ich auch mit ihm tanzen.«
    Sie meint es ernst. Am liebsten würde ich laut loslachen.
    »Du möchtest, dass ich mich für dich verabrede«, sage ich damit kein Missverständnis aufkommt. »Mit irgendeinem Typen, den ich gar nicht kenne. Nur damit du tanzen kannst.«
    »Ich möchte nur ein letztes Mal noch ein bisschen Spaß mit einem hübschen Mann haben.« Sadie lässt den Kopf hängen, und ihr Mund macht wieder dieses traurige, kleine »o«. »Nur einmal noch übers Parkett wirbeln. Mehr verlange ich nicht, bevor ich endgültig von dieser Erde verschwunden bin.« Ihre Stimme wird ein tiefes, klägliches Flüstern. »Ich träume von nichts anderem mehr. Das ist mein letzter Wunsch.«
    »Das ist gar nicht dein letzter Wunsch!«, sage ich leicht indigniert. »Deinen letzten Wunsch hast du bereits gehabt! Ich sollte deine Kette suchen, wie du dich vielleicht erinnern wirst.«
    Einen Moment fehlen Sadie die Worte.
    »Das ist mein anderer letzter Wunsch«, sagt sie schließlich.
    »Hör zu, Sadie.« Ich gebe mir Mühe, rational zu klingen. »Ich kann mich nicht so einfach mit einem wildfremden Kerl verabreden. Du wirst ohne ihn auskommen müssen. Sorry.«
    Sadie mustert mich schweigend, bebend, mit derart verletzter Miene, dass ich mich frage, ob ich ihr auf den Fuß getreten bin.
    »Du sagst tatsächlich nein«, sagt sie schließlich, und ihre Stimme bricht wie unter der Last ihrer Gefühle. »Du weist mich tatsächlich zurück. Ein letzter, unschuldiger Traum. Ein klitzekleiner Wunsch.«
    »Hör mal...«
    »Ich war in diesem Pflegeheim. Kein Besuch. Kein Lachen. Kein Leben. Nur Altsein... und Einsamkeit... und Kummer...«
    Oh Gott. Das kann sie mir nicht antun. Das ist nicht fair.
    »Jedes Weihnachtsfest mutterseelenallein, nie Besuch... nie ein Geschenk...«
    »Das war nicht meine Schuld«, sage ich

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