Charons Klaue
nicht stehen lassen.
»Ich habe es ohne Licht geschafft«, sagte der Meuchelmörder glattzüngig. Dahlia runzelte wütend die Stirn.
Sie stemmte die Hände in die Hüften und funkelte den Mann an, aber Drizzt zog Blaues Licht. Auf sein Verlangen hin erzeugte die magische Waffe ein mattes, blauweißes Schimmern. Der Drow sprang ebenfalls in den Tunnel und schob sich an Dahlia vorbei. Die Klinge hatte er vor sich ausgestreckt, damit sie ihren Weg beleuchtete.
Der Abwasserkanal war grob durch das Gestein getrieben. An manchen Stellen war er so hoch, dass Drizzt und die anderen aufrecht stehen konnten, doch vielfach mussten sie geduckt vorrücken. Der Boden war gerundet und in der Mitte tiefer, und dort floss träges, dunkles Wasser, das sich an manchen Stellen knöchel- oder gar knietief sammelte, was ziemlich erschreckend war. Ringsherum huschte, glitt oder kroch knapp außerhalb des Lichtscheins alles mögliche Kleingetier vor ihnen davon.
Anfangs wirkte das Licht des Schwerts eher spärlich, doch als sie tiefer in das Labyrinth vordrangen, in dem die Tunnel sich verzweigten, abbogen und überall gleich aussahen, schien Blaues Licht deutlich heller zu werden. Jetzt kauerten mehr Ratten seitlich im Schatten, es glitten mehr Schlangen ins Wasser, und sie sahen unzählige Insekten herumflattern, auch stechende, dazu Spinnen, die sie aus dünnen Netzen beobachteten.
Keiner der drei sprach das Offensichtliche aus: Das Schwert konnte ihre Umgebung einige Fuß weit erhellen, aber für jemanden – oder etwas – in größerer Entfernung war es zweifellos ein warnendes Leuchtfeuer.
Drizzt, der im nahezu lichtlosen Unterreich aufgewachsen war, war sich dieser Tatsache natürlich besonders bewusst. Ein Drow, der sich mit einer Lichtquelle in den Tunneln um Menzoberranzan bewegte, würde bald getötet und ausgeraubt werden. Der leuchtende Säbel in der Hand widersprach allem, was er als junger Krieger gelernt hatte. Dank seiner hervorragenden Augen konnte er sich in diesen Tunneln auch ohne Licht bestens zurechtfinden.
»Ich kann im Dunkeln sehen«, sagte Entreri zu seiner Überraschung hinter ihm. Drizzt drehte sich um.
»Du hattest ein Katzenauge«, erinnerte sich Drizzt und hielt Blaues Licht hoch, um sich zu vergewissern, dass Entreri jetzt nichts dergleichen trug.
»Inzwischen ein Teil von mir«, erklärte der Mann. »Ein Geschenk von Jarlaxle.«
Drizzt nickte und wollte sein Schwert einstecken, aber Dahlia hielt ihn fest. Er sah sie aufmerksam an, und sie schüttelte den Kopf. Auf ihrem Gesicht zeichnete sich Unbehagen ab.
»Ich mag keine Schlangen, und ich mag keine Spinnen«, sagte sie. »Wenn du das einsteckst, kannst du mich tragen.«
Das entlockte Entreri ein kurzes Lachen, das endete, als Dahlia ihm mit einem todernsten Blick unmissverständlich mitteilte, dass er sich auf gefährlichem Terrain bewegte.
Drizzt ging weiter, und Dahlia eilte hinter ihm her. »Ein wahrer Held würde mich tragen«, murmelte sie in sich hinein.
»Weil du eine wahre Dame bist?«, fragte Entreri von hinten.
Drizzt blieb stehen und holte tief Luft. In seiner Vorstellung sah er die beiden in leidenschaftlicher Umarmung, und er hätte beinahe geknurrt, als er sich von dem Bild löste.
Im Licht seines Säbels drangen die drei tiefer in den Haupttunnel vor und landeten bald in einem wabenartigen Netz aus eindrucksvolleren, von Hand gegrabenen Abzweigungen. Sie wussten, dass sie sich unter den Außenbezirken der Stadt befanden, zumindest der alten Stadt. Anfangs war die Wahl nicht schwierig, denn es handelte sich immer noch um deutlich kleinere Tunnel, die praktisch unbegehbar waren. Ein paar hätten sie auf dem Bauch kriechend passieren müssen, was keiner wollte. Aber kurz darauf erreichten sie ein System aus noch größeren Röhren.
»Kannst du dich an den Weg erinnern?«, fragte Drizzt Entreri. Er flüsterte, weil noch andere Geräusche von den feuchten, glitschigen Steinen zurückgeworfen wurden.
Entreri trat neben den Drow, der sich an einer fünffachen Gabelung nach allen Seiten umsah. Mit den Händen in den Hüften schüttelte er schließlich den Kopf. »Es ist lange her.«
»So lange auch wieder nicht«, schimpfte Dahlia ungeduldig.
Entreri und Drizzt starrten die Elfe an.
»Als ich das letzte Mal hier war, bin ich einfach der Strömung gefolgt«, erklärte er. »Ich hatte ein Ziel. Was hinter mir lag, war unwichtig.«
»Es wäre schlauer gewesen, wenn du deinen Weg markiert hättest oder wenigstens nach deiner
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