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Chasm City

Chasm City

Titel: Chasm City Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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Dominika und die lange Operationsliege sehen, auf der sie ihrer Arbeit nachging. Auf der Liege lag Quirrenbach mit entblößtem Oberkörper, sein Kopf war ganz und gar von dünnen Sonden umringt. Man hatte ihm den Schädel völlig kahl geschoren. Dominika bewegte ihre Finger wie ein Marionettenspieler und ließ die Sonden wie an unsichtbaren Fäden um Quirrenbachs Schädel herum tanzen. Ich sah kein Blut, nicht einmal eine Einstichwunde auf der Haut.
    Vielleicht war Dominika ja besser, als ich gedacht hatte.
    »Okay«, sagte ich, als Tom wieder auftauchte. »Ich möchte dich um einen Gefallen bitten, und der ist mir einen von denen wert.« Ich zeigte ihm den kleinsten Geldschein, den ich hatte. »Und erzähle mir jetzt nicht, das wäre eine Beleidigung, bevor du überhaupt weißt, was ich von dir will.«
    »Sag schon, Großer.«
    Ich deutete zu den Rikschas hinaus. »Fahren die Dinger durch die ganze Stadt?«
    »Fast ganzer Mulch.«
    »Mulch heißt das Viertel, in dem wir hier sind?« Als er mich keiner Antwort würdigte, verließ ich kurzerhand das Zelt. Er folgte mir.
    »Ich muss von hier – wo immer das sein mag – in ein bestimmtes Viertel der Stadt. Ich weiß nicht, wie weit es dahin ist, aber ich möchte nicht betrogen werden. Das kannst du doch sicher für mich arrangieren, oder? Schon deshalb, weil ich weiß, wo du wohnst.«
    »Kriegen guten Preis, du keine Sorge.« Dann kroch ihm offenbar ein Gedanke durch den Schädel. »Du nicht warten auf Freund?«
    »Nein – ich habe leider anderswo zu tun als Mister Quirrenbach. Wir werden uns wohl einige Zeit nicht Wiedersehen.«
    Ich konnte nur hoffen, dass diese Prophezeiung auch eintraf.
    Die meisten Rikschas wurden von haarigen Primaten gefahren, die mit gespleißten menschlichen Genen gezüchtet worden waren. Die betreffenden Homeobox-Gene wurden so rekombiniert, dass die Beine länger und weniger krumm wuchsen als es der Affennorm entsprach. Tom verhandelte in unverständlich rasantem Canasisch mit einem anderen Jungen. Die beiden sahen sich zum Verwechseln ähnlich, nur hatte der neue Junge kürzeres Haar und war vielleicht ein Jahr älter. Tom stellte ihn mir als Juan vor; das Verhalten der beiden ließ vermuten, dass sie alte Geschäftspartner waren. Juan schüttelte mir die Hand und begleitete mich zum nächsten Gefährt. Ich schaute nervös über die Schulter und hoffte, dass Quirrenbach noch ohne Bewusstsein wäre. Ich wollte mich nicht vor ihm rechtfertigen müssen, wenn er aufwachte und Tom ihm erzählte, ich sei im Begriff, den Bahnhof zu verlassen. Manche Pillen ließen sich nicht versüßen, und von jemandem im Stich gelassen zu werden, den man für seinen neuen Reisegefährten hielt, gehörte dazu.
    Aber vielleicht konnte er den Schmerz über meinen Verrat ja in einem seiner künftigen Meisterwerke verarbeiten.
    »Wohin, Mister?«
    Das war Juans Stimme, er sprach mit demselben Akzent wie Tom. Wahrscheinlich ein Jargon, der sich nach der Seuche entwickelt hatte; ein Gemisch aus Russisch, Canasisch, Norte und einem Dutzend anderer Sprachen, die während der Belle Epoque hier in Gebrauch gewesen waren. »Bring mich zum Baldachin«, sagte ich. »Du weißt doch, wo das ist?«
    »Klar«, sagte er. »Ich wissen, wo Baldachin ist, genau wie ich wissen, wo Mulch ist. Du glauben, ich bin Idiot wie Tom?«
    »Dann kannst du mich also hinbringen?«
    »Nein, Mister. Ich dich kann nicht hinbringen.«
    Ich schälte bereits eine weitere Banknote ab, doch dann begriff ich, dass unsere Verständigungsschwierigkeiten nicht nur finanzieller Natur waren, und dass das Problem mit ziemlicher Sicherheit bei mir lag.
    »Ist der Baldachin ein Viertel dieser Stadt?«
    Demonstrativ geduldiges Nicken. »Du hier neu, wie?«
    »Ja, ich bin neu hier. Und deshalb sei bitte so nett und erklär mir, warum es dir nicht möglich ist, mich zum Baldachin zu bringen.«
    Der halb abgeschälte Geldschein verschwand aus meinen Fingern, dann wies Juan auf den hinteren Sitz der Rikscha als wäre es ein Thron aus feinstem Samt. »Ich dir zeigen, Mann. Aber ich dich nicht hinbringen, du verstehen? Dafür du brauchen mehr als Rikscha.«
    Er sprang auf den Sitz neben mir, beugte sich vor und flüsterte dem Fahrer etwas ins Ohr. Der Primat trat in die Pedale und ächzte dabei, als sei er tief empört darüber, wie man mit seinem genetischen Erbe verfahren sei.
    Die biotechnische Veränderung von Tieren war, wie ich später erfuhr, einer der wenigen boomenden Industriezweige seit der Seuche. Als

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