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Chasm City

Chasm City

Titel: Chasm City Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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noch Übung.«
    »Typisch für mich. Aber Sie sind ein seltsamer Fall. Was hat das viele Blut zu bedeuten, das aus Ihrer Hand kommt? Ist das ein Krankheitssymptom, etwas, das ich wissen sollte?«
    »Warum? Würde das etwas ändern?«
    Er ging mit sich zu Rate. »Nein, vermutlich nicht. Wenn Sie rennen können, sind Sie fit genug.«
    »Fit genug wofür?« Wieder betastete ich den Schorf. »Was haben Sie mir da reingesteckt?«
    »Ich will es Ihnen erklären.«
    Ich hatte nicht erwartet, dass er so gesprächig sein würde, aber ich sah allmählich ein, dass es aus seiner Sicht sinnvoll sein mochte, wenn ich wenigstens einige Fakten kannte. Weniger aus Sorge um mein Wohlergehen, sondern viel mehr, um mich angemessen zu präparieren. Bei früheren Spielen hatte sich gezeigt, dass es den Unterhaltungswert beträchtlich erhöhte, wenn die Opfer genau wussten, was auf dem Spiel stand und welche Chancen sie hatten.
    »Im Grunde«, begann er liebenswürdig, »handelt es sich um eine Jagd. Wir nennen sie das Große Spiel. Offiziell existiert es nicht, nicht einmal im relativ rechtsfreien Raum des Baldachins. Man weiß und man spricht davon, aber immer sehr diskret.«
    »Wer ist ›man‹?«, fragte ich, um überhaupt etwas zu sagen.
    »Postmortale Unsterbliche, nennen Sie sie, wie Sie wollen. Nicht alle spielen das Große Spiel, nicht alle wollen etwas damit zu tun haben, aber jeder kennt jemanden, der daran teilnimmt oder Verbindungen zu der Organisation hat, die es erst ermöglicht.«
    »Geht das schon lange?«
    »Es hat sich in den letzten sieben Jahren entwickelt. Man könnte es als barbarischen Kontrapunkt zu der kultivierten Atmosphäre sehen, die Yellowstone vor dem Sturz prägte.«
    »Barbarisch?«
    »O ja, herrlich barbarisch. Deshalb gefällt es uns ja so gut. Das Große Spiel ist weder in seinen Methoden, noch in seiner Psychologie kompliziert oder sonderlich subtil. Man muss es sehr kurzfristig organisieren können, an jedem Punkt der Stadt. Natürlich gibt es Regeln, aber man braucht nicht erst zu den Musterschiebern zu reisen, um sie zu verstehen.«
    »Was sind das für Regeln, Waverly?«
    »Oh, darüber brauchen Sie sich wirklich nicht den Kopf zu zerbrechen, Mirabel. Sie brauchen nur zu rennen.«
    »Und dann?«
    »Zu sterben. Und das mit Anstand.« Er redete wie ein gütiger Onkel. »Das ist alles, was wir von Ihnen verlangen.«
    »Warum tun Sie das?«
    »Einem anderen Menschen das Leben zu nehmen, hat einen ganz eigenen Reiz, Mirabel. Tut man es, wenn man selbst unsterblich ist, so verleiht man der Tat damit noch viel erhabenere Dimensionen.« Er hielt inne, wie um sich zu sammeln. »Das Wesen des Todes können wir selbst in diesen schwierigen Zeiten nicht wirklich erfassen. Aber wenn wir einem Menschen – besonders einem Menschen, der nicht unsterblich ist und deshalb den Tod besonders plastisch vor sich sieht – das Leben nehmen, bekommen wir damit aus zweiter Hand einen Eindruck, was es damit auf sich hat.«
    »Die Menschen, die Sie jagen, sind also keine Unsterblichen?«
    »Im Allgemeinen nicht. Gewöhnlich suchen wir unsere Opfer im Mulch, wobei wir Wert darauf legen, dass sie halbwegs bei Kräften sind. Wir wollen natürlich eine ordentliche Jagd für unser Geld, deshalb ist es auch nicht unter unserer Würde, sie vorher noch zu füttern.«
    Er erzählte mir noch mehr; das Große Spiel wurde von einer geheimen Organisation finanziert. Mitglieder waren zumeist Bewohner des Baldachins, aber dem Vernehmen nach auch vergnügungssüchtige Freigeister aus einigen der Karussells im Rostgürtel, die noch bewohnt waren, oder aus anderen Siedlungen auf Yellowstone wie etwa Loreanville. Kein Mitglied kannte mehr als eine Handvoll anderer Teilnehmer, und man kaschierte seine Identität mit einem komplizierten System von Masken und Tarnnamen, sodass im öffentlichen Leben des Baldachins, wo man sich immer noch viel auf seine dekadente Vornehmheit zugute tat, niemand bloßgestellt werden konnte. Jagden wurden kurzfristig und nur für kleine Gruppen angesetzt. Man traf sich in einem verlassenen Teil des Baldachins. Noch in der gleichen Nacht – oder höchstens einen Tag vor dem Ereignis – holte man sich dann ein Opfer aus dem Mulch und ließ es präparieren.
    Die Implantate waren eine neuere Errungenschaft.
    Sie ermöglichten einer größeren Gruppe von Mitgliedern die Teilnahme an der Jagd, wodurch die Ausbeute potenziell beträchtlich erhöht wurde. Andere Teilnehmer halfen bei der Dokumentation, sie wagten sich

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