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Chasm City

Chasm City

Titel: Chasm City Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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nichts zu lernen, sie haben schon alles im Blut. Also besteht kaum ein Selektionsdruck, der verhindern würde, dass die Erwachsenen sofort nach der Geburt sterben. Und für die Jungen ist es absolut sinnvoll, ihre Mutter zu verschlingen.«
    Jetzt musste ich lächeln. »Das klingt ja fast wie Bewunderung.«
    »Das stimmt. Eine so reine Form – wer wäre davon nicht entzückt?«
    Ich weiß nicht genau, was dann passierte. Ich sah Cahuella an und beobachtete mit halbem Auge Gitta, als Vicuna irgendetwas tat. Doch die erste rasche Bewegung war nicht von Vicuna gekommen, sondern von Rodriguez, meinem eigenen Mann.
    Vicuna hatte in seine Jacke gefasst und eine Pistole gezogen.
    »Rodriguez«, sagte er. »Treten Sie von diesem Baum zurück.«
    Ich hatte keine Ahnung, was hier gespielt wurde, aber jetzt sah ich, dass auch Rodriguez die Hand in der Tasche hatte, als wollte er nach etwas greifen. Vicuna bewegte auffordernd seine Pistole hin und her.
    »Ich sagte, zurücktreten.«
    »Doktor«, schaltete ich mich ein, »könnten Sie mir erklären, warum Sie einen von meinen Männern bedrohen?«
    »Gerne, Mirabel. Sobald ich mit ihm fertig bin.«
    Rodriguez starrte mich mit weit aufgerissenen Augen an, als verstünde er die Welt nicht mehr. »Tanner, ich weiß nicht, was er von mir will. Ich wollte nur einen Konzentratriegel…«
    Ich musterte erst ihn und dann den Vampir.
    »Nun, Doktor?«
    »Er hat keine Konzentratriegel in dieser Tasche. Er wollte eine Waffe ziehen.«
    Es ergab keinen Sinn. Rodriguez war bereits bewaffnet – er hatte sich, genau wie Cahuella, ein Jagdgewehr über die Schulter gehängt.
    Wie erstarrt sahen die beiden sich an.
    Ich musste eine Entscheidung treffen. Ich nickte Cahuella zu. »Überlassen Sie das mir. Sie ziehen sich mit Gitta zurück, bevor Sie womöglich noch in die Schusslinie geraten. Wir treffen uns im Lager.«
    »Ja!«, zischte Vicuna. »Verschwinden Sie, bevor Rodriguez Sie tötet.«
    Cahuella nahm den Arm seiner Frau und trat zögernd den Rückzug an. »Ist das Ihr Ernst, Doktor?«
    »Mir scheint es schon so«, murmelte Dieterling. Er hatte sich bereits aus der Gefahrenzone gebracht.
    »Nun?«, fragte ich in Richtung des Vampirs.
    Vicunas Hand zitterte. Er war kein Revolverheld – aber man brauchte nicht einmal ein sonderlich guter Schütze zu sein, um Rodriguez auf diese Entfernung abzuknallen. Er zwang sich zur Ruhe und sagte ganz langsam: »Rodriguez ist ein Hochstapler, Tanner. Das wurde mir vom Reptilienhaus durchgegeben, während Sie hier waren.«
    Rodriguez schüttelte den Kopf. »Das brauche ich mir nicht anzuhören!«
    Es war durchaus möglich, dass der Doktor in unserer Abwesenheit eine Nachricht vom Reptilienhaus bekommen hatte. Normalerweise legte ich mir ein Kom-Armband um, wenn ich das Camp verließ, aber heute Morgen hatte ich das in der Eile vergessen. Wenn also jemand vom Haus aus hätte anrufen wollen, hätte er nur das Camp erreicht.
    Ich wandte mich an Rodriguez. »Dann nimm jetzt ganz langsam die Hand aus der Tasche.«
    »Sag nicht, dass du dem Bastard glaubst!«
    »Ich weiß nicht, was ich glauben soll. Aber wenn du die Wahrheit sagst, ist da nur ein Konzentratriegel drin.«
    »Tanner, das ist…«
    Ich hob die Stimme. »Verdammt, nun mach schon!«
    »Vorsicht!«, zischte Vicuna.
    Rodriguez zog majestätisch langsam die Hand aus der Tasche und schaute dabei die ganze Zeit zwischen mir und Vicuna hin und her. Zwischen seinem Daumen und seinem Zeigefinger kam ein kleiner, schwarzer Gegenstand zum Vorschein. Im ewigen Halbdunkel unter den Bäumen hätte man das Ding tatsächlich für einen Konzentratriegel halten können. Und im ersten Moment glaubte ich das auch.
    Doch dann sah ich, dass es eine Waffe war; eine kleine, elegante, tödliche Pistole. Eine Pistole für einen Berufskiller.
    Vicuna feuerte. Vielleicht hatte ich unterschätzt, wie gut man schießen musste, um einen anderen selbst aus so geringer Entfernung kampfunfähig zu machen, jedenfalls traf der Doktor Rodriguez nur in die Schulter des anderen Arms. Rodriguez stöhnte kurz auf und taumelte nach hinten, aber das war alles. Dann blitzte seine Pistole auf, und der Doktor fiel rücklings ins trockene Gras.
    Am Rand der Lichtung nahm Cahuella sein Gewehr von der Schulter und machte sich zum Schuss bereit.
    »Nein!«, wollte ich schreien. Ich wollte, dass mein Herr sich in Sicherheit brachte, dass er sich so weit wie möglich von Rodriguez entfernte, aber – ich begriff es zu spät – Cahuella war kein

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