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Chasm City

Chasm City

Titel: Chasm City Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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vorgestellt hatte. Die Wucht, mit der die Gondel nach einer Seite gerissen wurde, schleuderte uns alle sieben gegen die innere Wand. Jemand brach sich einen Knochen und fing an zu schreien, aber da flogen wir bereits in die entgegengesetzte Richtung und prallten gegen das gewölbte Panoramafenster. Der Servomat löste sich von der Decke und stürzte an uns vorbei. Sein hartes Stahlgehäuse krachte in das Glas und erzeugte ein Netz von weißen Sprüngen, aber die Scheibe hielt. Dann bremste die Gondel ab und die Schwerkraft sank. Durch die Peitschenbewegung war ein Teil des Induktionsmotors beschädigt worden.
    Der Kopf des Aristokraten aus dem Süden war wie eine überreife Frucht zu einer ekelerregenden roten Masse zerquetscht worden. Als die seitlichen Schwingungen nachließen, rollte sein Leichnam haltlos über den Fußboden. Irgendjemand fing an zu schreien. Alle waren schwer angeschlagen. Auch ich war vermutlich nicht ohne Verletzungen davongekommen, aber im Moment betäubte das Adrenalin noch jeden Schmerz.
    Die Kompressionswelle war weitergezogen. Irgendwann würde sie das Ende des Kabels erreichen und dort reflektiert und zurückgeworfen werden – aber das konnte noch Stunden dauern. Beim zweiten Mal würde sie auch nicht mehr ganz so heftig ausfallen, weil ein Teil der Energie in Wärme umgewandelt und abgeleitet wurde.
    Ich wagte schon zu hoffen, die Gefahr sei vorüber.
    Dann dachte ich an die Gondeln unter uns. Vielleicht hatten sie ebenfalls abgebremst, vielleicht hatten sie sich auch vom Kabel losgerissen. Eventuell hatten sogar die automatischen Sicherungssysteme eingegriffen – doch das ließ sich nicht mit Gewissheit sagen. Sollte die Gondel unter uns jedoch ihre normale Geschwindigkeit beibehalten haben, dann würde sie schon sehr bald in die unsere hineinrasen.
    Ich durchdachte dieses Szenario noch einen Augenblick länger, dann ergriff ich das Wort und rief laut genug, um das Wimmern der Verletzten zu übertönen: »Es tut mir Leid, aber mir ist eben noch etwas eingefallen…«
    Für lange Erklärungen blieb keine Zeit. Wer mir nicht folgen wollte, musste eben in der Gondel bleiben und die Folgen tragen. Es reichte nicht einmal mehr, um die Notschleuse zu erreichen; es würde mindestens eine Minute dauern, bis alle sieben – inzwischen nur noch sechs – sie einzeln passiert hätten. Und falls es tatsächlich zu einer Kollision zwischen den Gondeln käme, konnten wir gar nicht weit genug vom Kabel entfernt sein.
    Es gab eigentlich nur eine einzige Alternative.
    Ich zog die aufziehbare Pistole aus der Tasche meines Raumanzugs und umfasste sie mit den behandschuhten Fingern, so gut es eben ging. Genaues Zielen war nicht möglich, aber zum Glück auch nicht erforderlich. Ich hielt die Waffe nur ungefähr in Richtung des Fensters, das seit dem Absturz des Servomaten von sternförmigen Sprüngen durchzogen war.
    Jemand, der nicht begriff, dass ich nur vorhatte, uns allen das Leben zu retten, wollte mir noch in den Arm fallen, aber ich war stärker; mein Finger drückte den Abzug durch. Der winzige Federmechanismus im Inneren wurde ausgelöst, und die gespeicherte molekulare Bindungsenergie entlud sich mit ungeheurer Gewalt. Eine Strom von Nadelgeschossen raste aus dem Lauf und prallte klirrend gegen das Glas. Das Netz der Sprünge vergrößerte sich. Das Fenster beulte sich nach außen, ein Knirschen war zu hören, dann zersprang es in unzählige weiße Scherben. Wir wurden mit dem Luftstrom durch die gezackte Öffnung hinaus ins All gerissen.
    Ich ließ die Pistole nicht los, klammerte mich daran, als wäre sie der einzige feste Halt im ganzen Universum. Dann sah ich mich hektisch nach den anderen um und suchte mich zu orientieren. Der Wind hatte uns nach allen Seiten auseinander getrieben wie die Fragmente eines Leuchtspurgeschosses, aber nun sanken wir, wenn auch auf verschiedenen Bahnen, unaufhaltsam nach unten.
    Unter uns war nur der Planet.
    Mein Anzug drehte mich langsam um die eigene Achse, bis ich wieder der Gondel zugewandt war. Sie hing noch immer am Kabel, entfernte sich unaufhaltsam nach oben und wurde mit jeder Sekunde kleiner. Plötzlich raste, ich registrierte es kaum, die Gondel darunter mit immer noch normaler Geschwindigkeit an mir vorbei, und im nächsten Moment flammte ein Blitz auf, der fast so grell war wie bei der Explosion der Atombombe.
    Als er erlosch, war nichts mehr übrig – nicht einmal das Kabel.

Vier
    Sky Haussmann war drei Jahre alt, als er das Licht sah.
    Jahre

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