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Chasm City

Chasm City

Titel: Chasm City Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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Stelle dafür gesorgt, dass keiner am Leben geblieben wäre. Das war sein einziger Fehler; und den verzeihe ich ihm nicht.«
    »Sie können ihm nicht verzeihen, dass er Sie nicht auch umgebracht hat?«
    »Das war kein Gnadenakt, Chanterelle. Ganz im Gegenteil. Der Bastard wollte, dass ich mir Vorwürfe mache, weil ich Cahuella im Stich gelassen habe.«
    »Bedauere, aber das ist mir doch um zu viele Ecken herum gedacht.«
    »Er hat Cahuellas Frau getötet – die Frau, die ich beschützen sollte. Doch Cahuella, Dieterling und mich ließ er am Leben. Dieterling hatte einfach Glück, man hielt ihn für tot. Aber Cahuella und mich hat Reivich bewusst verschont. Cahuella sollte mich dafür bestrafen, dass ich Gittas Tod nicht verhindert hatte.«
    »Und?«
    »Und was?«
    Sie war im Begriff, die Geduld zu verlieren. »Hat Cahuella Sie dafür bestraft?«
    Die Frage war eigentlich nicht schwer zu beantworten. Cahuella hatte mich natürlich nicht bestraft – weil er selbst gestorben war. Er war seinen Verletzungen erlegen, obwohl die zu Anfang gar nicht so gefährlich ausgesehen hatten.
    Warum also fiel es mir so schwer, Chanterelle eine Antwort zu geben? Warum sträubte sich meine Zunge gegen diese naheliegende Erklärung, warum ging mir stattdessen etwas ganz anderes durch den Sinn? Warum zweifelte ich plötzlich daran, dass Cahuella tatsächlich tot war?
    Endlich sagte ich: »Dazu ist es nie gekommen. Aber ich musste mit der Schande leben, und das war an sich schon Strafe genug.«
    »Aber es hätte nicht unbedingt so ausgehen müssen; jedenfalls nicht aus Reivichs Sicht.«
    Wir durchquerten jetzt einen Teil des Baldachins, der an ein Modell der Alveolen in einer menschlichen Lunge erinnerte: ein unendlich verzweigtes Netz aus Kügelchen und dunklen Fäden, die aussahen wie geronnenes Blut.
    »Wie hätte es denn sonst sein können?«, fragte ich.
    »Vielleicht hat Reivich Sie verschont, weil seine Feindschaft nicht gegen Sie persönlich gerichtet war. Weil er wusste, dass Sie nur Cahuellas Angestellter waren, weil er nicht mit Ihnen Streit hatte, sondern mit Ihrem Arbeitgeber.«
    »Klingt hübsch.«
    »Und ist möglicherweise sogar richtig. Haben Sie sich schon einmal überlegt, dass Sie diesen Mann überhaupt nicht zu töten brauchen, dass Sie ihm vielleicht sogar Ihr Leben verdanken?«
    Allmählich hatte ich von dieser Unterhaltung genug.
    »Nein, das habe ich nicht – schlicht und einfach deshalb, weil es überhaupt keine Rolle spielt. Wie Reivich über mich dachte, als er beschloss, mich am Leben zu lassen – ob er mich bestrafen oder begnadigen wollte –, kümmert mich nicht. Es ist völlig ohne Belang. Wichtig ist, dass er Gitta getötet hat, und das ich Cahuella geschworen habe, ihren Tod zu rächen.«
    »Ihren Tod zu rächen.« Ihr Lächeln war bitter. »Das klingt nach tiefstem Mittelalter. Vasallenehre und Treuepflicht. Lehenseid und Racheschwüre. Haben Sie in letzter Zeit mal in den Kalender geschaut, Tanner?«
    »Davon verstehen Sie nichts, Chanterelle.«
    Sie schüttelte heftig den Kopf. »Richtig, sonst würde ich mich fragen, ob ich noch ganz bei Verstand bin. Wozu, in drei Teufels Namen, sind Sie hier? Um irgendein lächerliches Gelübde zu erfüllen – Auge um Auge?«
    »Wenn Sie es so ausdrücken, kann ich eigentlich nicht darüber lachen.«
    »Es ist auch nicht zum Lachen, Tanner. Es ist eher tragisch.«
    »Für Sie vielleicht.«
    »Und für jeden, der auch nur ein Fünkchen Objektivität besitzt. Sind Sie sich darüber im Klaren, wie viel Zeit vergangen sein wird, bis Sie nach Sky’s Edge zurückkommen?«
    »Ich bin kein Kind mehr, Chanterelle.«
    »Beantworten Sie meine Frage, verdammt.«
    Ich seufzte. Wann hatte ich mir die Zügel so sehr aus der Hand nehmen lassen? War unsere Freundschaft nur ein Ausrutscher gewesen; ein kurzer Ausbruch aus dem normalen Alltag?
    »Mindestens dreißig Jahre«, antwortete ich, als wäre das gar nichts, nicht mehr als ein paar Wochen. »Und bevor Sie weiter fragen, ja, ich bin mir durchaus bewusst, wie viel sich in dieser Zeit verändern könnte. Aber nicht die wichtigen Dinge. Die haben sich bereits verändert, und das ist nicht mehr rückgängig zu machen, so sehr ich es mir auch wünschte. Gitta ist tot. Dieterling ist tot. Mirabel ist tot.«
    »Was?«
    »Ich sagte: Cahuella ist tot.«
    »Nein. Sie sagten, Mirabel ist tot.«
    Meine Gedanken überschlugen sich. Draußen zog die Stadt an uns vorbei. Was für Zustände mochten wohl in meinem Kopf herrschen, wenn

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