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Chasm City

Chasm City

Titel: Chasm City Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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Tasche zu ziehen. Wenn ich drei Mal schoss, konnte ich sogar die Ablenkung durch das Wasser berücksichtigen und meinen Schusswinkel danach ausrichten. Ob der Schrot wohl mit so hoher Geschwindigkeit aus dem Lauf gejagt wurde, dass er zwei Panzerglasplatten und das Wasser dazwischen durchschlagen konnte? Ich wusste es nicht, und vielleicht war die Frage ohnehin akademisch. Bei dem Winkel, in dem ich schießen musste, um Reivich zu treffen, war mir nämlich noch etwas im Wege.
    Ich konnte doch Methusalem nicht so einfach töten… oder doch?
    Natürlich konnte ich. Ich brauchte nur den Abzug durchzuziehen, um den Riesenkarpfen aus seinem sicher überaus simplen Geisteszustand zu erlösen, der keinesfalls komplex genug war, um den Namen Elend zu verdienen. Es wäre kein verabscheuungswürdigeres Verbrechen als die Beschädigung irgendeines wertvollen Kunstwerks.
    Methusalems Auge, die blinde Silberschale, zog meinen Blick auf sich.
    Ich brachte es nicht übers Herz.
    »Verdammt!«, sagte ich.
    »Was ist?«, fragte Chanterelle. Sie versperrte mir fast den Weg, als ich vom Becken zurücktrat und mich rückwärts zwischen die Menschen schob, die sich den Hals verrenkten, um einen Blick auf den legendären Fisch zu werfen.
    »Ich habe eben jemanden gesehen. Auf der anderen Seite von Methusalem.« Ich hatte die Pistole halb aus der Tasche gezogen; ein zufälliger Blick, und jeder Umstehende konnte meine Absicht erraten.
    »Tanner, sind Sie wahnsinnig?«
    »Wahrscheinlich gleich auf mehrere Arten«, gab ich zu. »Aber das ändert leider gar nichts. In bin ganz zufrieden mit dem Wahnsystem, in dem ich derzeit lebe.« Und dann schlenderte ich – so gemächlich, wie ich nur konnte – um das Becken herum. Meine Hand schwitzte so stark, dass die Pistole ganz nass wurde. Ich zog sie noch ein wenig weiter heraus und hoffte, dass die Bewegung so lässig wirkte, als wollte ich ein Zigarrenetui herausholen, hätte aber inne gehalten, weil ich durch irgendetwas abgelenkt worden war.
    Dann bog ich um die Ecke.
    Doch Reivich war nicht mehr da.

Achtundzwanzig
    »Sie wollten jemanden töten«, sagte Chanterelle. Die Gondel schwang sich durch das beleuchtete Korallenriff des Baldachins. Sie war auf dem Weg nach Hause. Unter uns lag, dunkel bis auf vereinzelte Feuer, der Mulch.
    »Was?«
    »Sie hatten die Pistole zur Hälfte aus der Tasche gezogen, als wollten Sie schießen. Nicht so, wie Sie sie mir gezeigt hatten – um mir zu drohen –, sondern als würden Sie den Abzug durchziehen, ohne vorher ein Wort zu sagen. Als wollten Sie einfach auf jemanden zugehen, ihm eine Kugel durch den Leib jagen und wieder verschwinden.«
    »Leugnen hätte wohl wenig Sinn?«
    »Sie müssen endlich offen mit mir reden, Tanner. Ich muss mehr erfahren. Sie sagten, die Wahrheit würde mir nicht gefallen, sie würde alles komplizieren. Aber die Sache ist auch so schon kompliziert genug, glauben Sie mir. Werden Sie Ihre Maske nun ein wenig lüften, oder setzen wir das Spiel wie bisher fort?«
    Ich war noch nicht fertig damit, den Vorfall geistig zu verarbeiten. Ich hatte das Gesicht von Argent Reivich gesehen, in aller Öffentlichkeit, nur wenige Meter von mir entfernt.
    Hatte er mich womöglich schon vorher entdeckt, war er viel raffinierter, als ich gedacht hatte? Wenn er mich erkannt hatte, hätte er die Halle nach der anderen Richtung verlassen können, während ich um Methusalem herum ging. Ich hatte mich so fest darauf verlassen, dass er immer noch vor der Glaswand stand, dass ich zu wenig auf die Menschen geachtet hatte, die gerade gingen. Es wäre also nicht ganz auszuschließen. Aber wenn ich akzeptierte, dass Reivich von Anfang an gewusst hatte, dass ich da war, trat ich damit eine ganze Serie von Fragen los, die noch viel beunruhigender waren. Warum war er stehen geblieben, wenn er mich bereits gesehen hatte? Und wieso waren wir einander einfach so über den Weg gelaufen? Ich hatte in diesem Stadium gar nicht nach ihm gesucht; ich wollte erst ein Gefühl für das Terrain bekommen, bevor ich tatsächlich die Netze auswarf. Und damit nicht genug: als ich nun die wenigen Augenblicke zwischen meiner Entdeckung Reivichs und dem Moment an mir vorüberziehen ließ, in dem mir klar wurde, dass er nicht mehr da war, tauchte eine weitere Erinnerung auf. Ich hatte noch etwas, noch jemanden gesehen, aber ich hatte mich so voll auf den Abschuss konzentriert, dass mein Bewusstsein das Bild verdrängt hatte.
    Hinter dem Glas war ein zweites Gesicht gewesen –

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