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Chasm City

Chasm City

Titel: Chasm City Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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freiwillig so weit von zu Hause entfernt.
    Aber jetzt gab es dafür einen triftigen Grund.
    Sky wartete, bis auch die letzte Sekunde verstrichen war, dann schaltete er die Triebwerke wieder an. Ihr Feuer leuchtete rein und klar in sattem Violett vor den Sternen. Er vermied es, den Raketenstrahl direkt auf die Flottille zu richten, aber ganz verbergen konnte er ihn nicht. Das war jedoch nicht weiter schlimm; sie hatten jetzt genügend Vorsprung, was immer die anderen Schiffe unternahmen, Sky würde die Caleuche als Erster erreichen. Das wäre, dachte er, ein kleiner Vorgeschmack auf den großen Sieg, falls es ihm gelänge, die Santiago vor den anderen nach Journey’s End zu bringen. Er durfte nie vergessen, dass alles, was er jetzt tat, nur ein Teil dieses größeren Planes war.
    Natürlich gab es einen Unterschied. Journey’s End war ohne Zweifel vorhanden; er wusste mit Sicherheit, dass die Welt existierte. Was dagegen die Existenz der Caleuche anging, so musste er sich immer noch auf Titus’ Wort verlassen.
    Sky schaltete die Fernantenne des Phasenradars ein und streckte – ganz ähnlich wie zuvor die Brasilia – einen suchenden Finger ins Dunkel.
    Wenn sie dort draußen war, würde er sie finden.
 
    »Kannst du ihn nicht einfach in Frieden lassen?«, fragte Zebra.
    »Nein. Selbst wenn ich ihm verzeihen wollte – was nicht der Fall ist –, müsste ich trotzdem wissen, warum er mich provoziert hat; was er damit zu erreichen hoffte.«
    Wir waren in Zebras Wohnung. Es war später Vormittag; über der Stadt hing nur eine dünne Wolkendecke, die Sonne stand hoch, und die Gebäude wirkten eher traurig als dämonisch; selbst die groteskeren Formen strahlten eine gewisse Würde aus wie Patienten, die gelernt hatten, mit extremen Missbildungen zu leben.
    Doch das alles konnte mich nicht beruhigen; ich war mehr denn je davon überzeugt, unter einer schweren Erinnerungsstörung zu leiden. Die Haussmann-Episoden hatten nicht aufgehört, aber meine Hand blutete lange nicht mehr so stark wie zu Beginn des Infektionszyklus. Es war fast, als hätte das Indoktrinationsvirus die Freisetzung von Erinnerungen katalysiert, die bereits vorher da gewesen waren und in krassem Widerspruch zur offiziellen Darstellung der Ereignisse auf der Santiago standen. Das Virus mochte kurz davor stehen, seine Kraft zu verlieren, aber dafür drängten andere Haussmann-Erinnerungen stärker denn je ans Licht, und ich identifizierte mich immer mehr mit Sky. Anfangs hatte ich mir sein Leben nur angesehen wie ein Theaterstück; jetzt spielte ich sozusagen seine Rolle: ich hörte, was er dachte, und spürte den ätzenden Geschmack seines Hasses auf der Zunge.
    Auch das war noch nicht alles. Der Traum vom Nachmittag zuvor, von dem verletzten Mann in der weißen Grube hatte mich mehr aufgewühlt, als ich mir gleich danach so ohne weiteres erklären konnte, aber seither hatte ich Zeit gehabt, darüber nachzudenken, und nun glaubte ich zu verstehen.
    Der Verletzte konnte nur ich selbst gewesen sein.
    Aber ich hatte mich aus Cahuellas Perspektive gesehen, der im Reptilienhaus stand und in die Hamadryadengrube hinabschaute. Das hätte ich noch meiner Erschöpfung zuschreiben können, wenn es das einzige Mal gewesen wäre, dass ich die Welt mit seinen Augen sah. Doch in den letzten Tagen hatten mich immer wieder flüchtige Erinnerungen an Gitta heimgesucht, kurze Träume von intimen Szenen, die in Wirklichkeit nie stattgefunden hatten. Dann glaubte ich, jede Rundung ihres Körpers, jede Pore ihrer Haut zu kennen; mit der Hand über ihren Rücken, ihr weiches Gesäß zu streichen, ihren Geschmack auf der Zunge zu spüren. Und noch etwas verfolgte mich, was mit Gitta zu tun hatte – etwas, das ich nicht zu fassen vermochte oder vor dem ich zurückschreckte, weil es zu schmerzhaft war.
    Ich wusste nur, dass es irgendwie mit der Art ihres Todes zusammenhing.
    »Hör zu«, sagte Zebra und schenkte mir Kaffee nach. »Könnte es nicht einfach sein, dass Reivich einen Todeswunsch hat?«
    Ich zwang mich, ins Hier und Jetzt zurückzukehren. »Den hätte ich ihm auch auf Sky’s Edge erfüllen können.«
    »Nun, dann eben einen ganz speziellen Todeswunsch. Einen, der nur hier befriedigt werden kann.«
    Sie sah großartig aus, die verblassenden Streifen brachten die natürliche Form ihres Gesichtes deutlicher zum Vorschein, so als hätte man eine grell bemalte Statue gesäubert. Dennoch waren wir uns nicht wirklich nahe gekommen, seit Pransky uns wieder

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