Chasm City
zusammengeführt hatte. Wir saßen einander beim Frühstück gegenüber, aber wir hatten nicht miteinander geschlafen, und das lag nicht nur daran, dass ich todmüde gewesen war. Zebra hatte mich nicht dazu ermuntert, und sie verriet weder mit ihrer Kleidung, noch mit ihrem Benehmen, dass wir jemals anders als kühl und sachlich miteinander verkehrt hatten. Es war, als hätte sie mit ihrem Äußeren auch ihre gesamte Persönlichkeit verändert. Mein Bedauern darüber hielt sich allerdings in Grenzen, nicht nur, weil ich immer noch müde und nicht fähig war, mich auf etwas zu konzentrieren, das so einfach und abseits aller Verschwörungstheorien war wie körperliche Intimität, sondern weil ich spürte, dass sie mir bei unserer ersten Begegnung etwas vorgespielt hatte.
Und ich konnte mich nicht einmal so richtig verraten und verkauft fühlen. Schließlich war ich ihr gegenüber auch nicht unbedingt ehrlich gewesen.
»Übrigens«, sagte ich, während ich mir noch einmal ihr Gesicht betrachtete und darüber staunte, wie leicht es sich hatte verändern lassen, »gibt es noch eine weitere Möglichkeit.«
»Und die wäre?«
»Dass der Mann, den ich gesehen habe, gar nicht Reivich war.« Ich stellte die leere Kaffeetasse ab und stand auf.
»Wo willst du hin?«
»Ich muss hier raus.«
Wir riefen eine Gondel und fuhren zum Escher-Turm.
Die Gondel setzte zur Landung an, die Teleskopbeine berührten das regennasse Sims. Jetzt herrschte mehr Betrieb als bei meinem letzten Besuch – immerhin war es heller Tag – und die Menschen, die umherschlenderten, wirkten anatomisch und von ihrer Kleidung her weniger auffällig, als handelte es sich um einen anderen Querschnitt der Baldachin-Gesellschaft, die gesetzteren Bürger, die nichts mit den Vergnügungssüchtigen und ihren nächtlichen Exzessen zu tun haben wollten.
Extrem fand ich sie nach den Begriffen, mit denen ich hier angekommen war, freilich noch immer. Zwar sah ich niemanden, der in seinen Proportionen allzu drastisch von der menschlichen Grundnorm abgewichen wäre, doch inner-, halb dieser Grenzen waren alle nur denkbaren Spielarten vertreten. Und von ganz offensichtlichen Fällen von exotischer Haut- und Körperhaarpigmentierung einmal abgesehen, konnte man nicht immer unterscheiden, was erblich und was das Werk der Meistermischer oder ihrer zwielichtigeren Kollegen war.
»Ich hoffe, dieser Ausflug dient irgendeinem Zweck«, sagte Zebra, als wir ausstiegen. »dir sind nämlich zwei Verfolger auf den Fersen, falls du das vergessen haben solltest. Du meinst zwar, sie könnten für Reivich arbeiten, aber du solltest bedenken, dass auch Waverly Freunde hatte.«
»Kämen Waverlys Freunde von anderen Welten?«
»Das ist eher unwahrscheinlich. Es sei denn, sie gäben sich nur als Fremdweltler aus wie dieser Quirrenbach.« Sie schloss die Tür der Gondel hinter sich, und das Gefährt startete sofort, um einen anderen Passagier abzuholen. »Vielleicht ist er zurückgekommen und hat Verstärkung mitgebracht. Wenn du ihn bei Dominika abgeschüttelt hattest, wäre es für ihn doch nur logisch, die Fährte dort wieder aufzunehmen. Findest du nicht?«
»Vollkommen logisch«, sagte ich. Hoffentlich klang es nicht allzu bissig.
Wir traten zu einem der Teleskope am Rand des Landefeldes. Um das Sims lief ein brusthohes Geländer, aber die Teleskope waren alle auf kleine Sockel montiert, sodass man etwas höher stand und der Blick in die Tiefe noch schwindelerregender war. Ich zog das Fernrohr zu mir heran und schwenkte es über die Stadt. Eine Weile drehte ich an der Schärfeneinstellung herum, bis ich mich damit abfand, dass ich bei dieser dunstigen Atmosphäre nie ein scharfes Bild bekommen würde. Dank der perspektivischen Verkürzung wirkte der Baldachin aus dieser Sicht noch vielgestaltiger und organischer, wie ein Querschnitt durch ein Gewebe mit vielen Adern. Und irgendwo in diesem Gewirr trieb Reivich als winziges Pünktchen durch das Gefäßsystem der Stadt.
»Siehst du etwas?«, fragte Zebra.
»Noch nicht.«
»Du klingst nervös, Tanner.«
»Wärst du das in meiner Lage nicht auch?« Ich drehte das Teleskop ruckartig weiter. »Man hat mich auf diese Welt geschickt, damit ich jemanden töte, der es wahrscheinlich nicht verdient, und meine einzige Rechtfertigung ist das Festhalten an einem absurden Ehrencodex, der hier nicht respektiert und erst recht nicht verstanden wird. Der Mann, den ich töten soll, führt mich möglicherweise an der Nase herum. Ich kann
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