Chasm City
mir zu leicht gemacht. Erst dadurch begann ich zu überlegen, was eigentlich gespielt wurde.«
»Ja.« Zebra nickte verständnisvoll. »Aber da war Voronoff schon nicht mehr aufzuhalten. Wir hatten keinen Einfluss mehr auf ihn.«
Ich schaute ihr ins Gesicht mit den schwachen Streifen, während sie weitersprach, ohne dass ich sie dazu drängen musste. »Voronoff gefiel sich zu gut in seiner Rolle. Sie entsprach ihm zu sehr. Lange Zeit hielt er sich an die Anweisungen – wahrte den nötigen Abstand; ließ sich nicht blicken. Der Plan sah vor, dass er eine Reihe von Spuren legen sollte, die dich zu ihm führten, aber du solltest denken, du hättest alles ganz alleine geschafft. Doch das genügte ihm nicht.«
»Er suchte die Gefahr.«
»Ja«, sagte sie mit großer Entschiedenheit. »Voronoff war nicht mehr zufrieden damit, dich zu ködern und darauf zu warten, dass du zu ihm fändest. Er gab seine Zurückhaltung auf – ging immer größere Risiken ein, behielt aber immer noch einen Rest von Kontrolle. Deshalb sagte ich, er ist gut. Aber Reivich gefiel das nicht, aus naheliegenden Gründen. Voronoff arbeitete nicht mehr für ihn, sondern suchte auf eigene Faust nach neuen Wegen, um die Langeweile in Schach zu halten. Und dafür war diese Rolle wohl genau das Richtige.«
»Für ihn vielleicht, aber nicht für mich.«
Ich stand so hastig auf, dass ich fast den Tisch umgeworfen hätte. Eine Hand hatte bereits die Reise in meine Tasche angetreten.
»Tanner«, sagte Zebra und hielt mich am Saum meines Mantels fest, bevor ich den ersten Schritt tun konnte. »Ihn zu erschießen, ändert doch nichts.«
»Voronoff«, rief ich – ich schrie nicht, sondern brachte nur meine Stimme zum Tragen wie ein berühmter Schauspieler. »Voronoff – drehen Sie sich um und treten Sie aus der Menge heraus.«
Die ersten Passanten bemerkten die blitzende Pistole in meiner Hand.
Der Mann, der wie Reivich aussah, erwiderte meinen Blick. Er schien nicht einmal allzu überrascht zu sein. Aber er war nicht der Einzige, der mich ansah. Inzwischen hatte ich alle Blicke auf mich gezogen, und wer nicht mein Gesicht studierte, der starrte wie gebannt auf die Pistole. Wenn die Jagd unter den Baldachin -Bewohnern so verbreitet war, wie man mich glauben gemacht hatte, mussten viele dieser Menschen sehr viel stärkere Waffen gesehen und auch selbst benützt haben als das kleine Ding, das ich jetzt in Anschlag brachte. Aber nie in aller Öffentlichkeit und nie auf so drastisch vulgäre Weise. Die Blicke hätten nicht erschrockener, verwirrter, empörter sein können, wenn ich auf den Zierrasen vor dem Koi-Karpfen-Teich gepinkelt hätte.
»Vielleicht hören Sie schlecht, Voronoff.« Ich fand, dass meine Stimme sehr freundlich und vernünftig klang. »Ich weiß, wer Sie sind, und ich weiß, was hier gespielt wird. Wenn Sie sich einigermaßen über mich informiert haben, dann sollte Ihnen klar sein, dass ich durchaus imstande bin, das Ding hier zu benutzen.« Jetzt war die Pistole auf ihn gerichtet, ich hielt sie mit zwei Händen und hatte die Beine leicht gegrätscht.
»Fallen lassen, Mirabel!«
Die Stimme hatte ich seit längerem nicht mehr gehört, und sie war auch nicht aus der Menge gekommen. Jemand drückte mir einen kalten, metallischen Gegenstand in den Nacken.
»Sind Sie taub? Ich sagte, Sie sollen das Schießeisen fallen lassen. Und wenn das noch lange dauert, fällt Ihr Kopf gleich hinterher.«
Ich senkte die Waffe, aber das genügte dem Sprecher nicht. Der Druck in meinem Nacken verstärkte sich, bis ich mich der Erkenntnis nicht mehr entziehen konnte, dass es in meinem Interesse läge, die Pistole fallen zu lassen.
Also tat ich es.
»Du«, sagte der Mann, offenbar an Zebra gewandt, »stößt jetzt die Waffe mit dem Fuß zu mir herüber. Und komm ja nicht auf die Idee, in irgendeiner Richtung kreativ zu werden.«
Auch sie gehorchte.
Eine Hand schob sich in mein Blickfeld und hob die Pistole auf; als der Mann niederkniete, veränderte sich der Druck der Waffe in meinem Nacken ein wenig. Aber er war gut, das spürte ich deutlich, und deshalb hielt auch ich – genau wie Zebra – meine Kreativität im Zaum. Da sie ohnehin erschöpft war, konnte ich nichts Besseres tun.
»Voronoff, du bist ein Narr«, sagte die Stimme. »Fast hättest du uns eine schöne Suppe eingebrockt.« Ich hörte ein Klicken, als meine Pistole geöffnet wurde, dann folgte ein amüsiertes Zungenschnalzen. Ich konnte den Sprecher nicht sehen, aber seine Stimme
Weitere Kostenlose Bücher