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Chasm City

Chasm City

Titel: Chasm City Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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dem Sims wie auf dem Rücken liegende tote Spinnen. Mit der einen Gondel waren Zebra und ich hierher gekommen. Auch die zweite erkannte ich wieder, doch die dritte, zu der uns Quirrenbach jetzt führte, war mir fremd.
    »Wollen Sie mich nicht lieber gleich töten?«, fragte ich. »Sie können sich eine Menge Arbeit ersparen, wenn Sie mich einfach über die Kante stoßen. Es ist wirklich nicht nötig, mir die letzten Augenblicke mit einer Gondelfahrt durch den Baldachin zu verschönern.«
    »Wie konnte ich nur so lange auf ihre geistreichen Bonmots verzichten, Mirabel?«, seufzte Quirrenbach gequält. »Und übrigens – auch wenn es Sie nichts angeht – die Symphonie macht prächtige Fortschritte, vielen Dank.«
    »Das war keine Tarngeschichte?«
    »Fragen Sie mich in hundert Jahren.«
    »Wenn wir schon von Leuten reden, die Hemmungen haben, andere zu töten« schaltete sich Voronoff ein, »dann sind auch Sie betroffen, Mirabel. Sie hätten mich umlegen können, als wir uns das erste Mal zu beiden Seiten von Methusalems Becken gegenüber standen. Aber Sie haben es nicht einmal versucht, und das kann ich mir nicht erklären. Sagen Sie jetzt nicht, der Fisch wäre Ihnen im Weg gewesen. Man kann Ihnen vieles nachsagen, Mirabel, aber sentimental sind Sie ganz sicher nicht.«
    Auch wenn ich es nur ungern zugab, er hatte Recht: ich hatte gezögert. In einem anderen Leben – oder zumindest auf einer anderen Welt – hätte ich Reivich (oder Voronoff) abgeknallt, bevor ich sie noch richtig erkannt hätte. Und über den Wert eines unsterblichen Fisches hätte ich mir auf keinen Fall irgendwelche Gedanken gemacht.
    »Vielleicht wusste ich da bereits, dass Sie nicht der Richtige waren«, sagte ich.
    »Oder Sie hatten einfach nicht den Mut.« Es war dunkel, trotzdem sah ich Quirrenbachs Lächeln aufblitzen. »Ich weiß, woher Sie kommen, Mirabel. Jeder von uns weiß das. Damals auf Sky’s Edge waren Sie mal ziemlich gut. Nur schade, dass Sie nicht wussten, wann die Zeit zum Aufhören gekommen war.«
    »Wenn ich ohnehin am Ende bin, warum dann noch die Aufmerksamkeit?«
    »Sie sind eine Fliege«, sagte Voronoff. »Und Fliegen muss man erschlagen.«
    Das Gefährt versetzte sich in Startbereitschaft, als wir näher kamen. Auf einer Seite klappte wie eine feuchte Zunge eine Tür mit plüschbezogenen Stufen an der Innenseite heraus. Sie wurde von zwei Leibwächtern mit unanständig großen Waffen bewacht. Bei ihrem Anblick schwand auch meine letzte Hoffnung auf Widerstand. Das waren Profis. Wahrscheinlich würden sie nicht einmal zulassen, dass ich mir mit einem Sprung über die Kante einen würdevollen Abgang verschaffte, sondern mir selbst im Sturz noch ein paar Kugeln in den Rücken schießen.
    »Wohin fliegen wir?«, fragte ich, obwohl ich es gar nicht unbedingt wissen wollte und auch keine ehrliche Antwort erwartete.
    »Ins All«, sagte Quirrenbach. »Wir treffen uns mit Mister Reivich.«
    »Ins All?«
    »Ich enttäusche Sie nur ungern, Mirabel. Aber Reivich ist gar nicht in Chasm City. Sie haben ein Phantom verfolgt.«

Dreiunddreißig
    Ich sah Zebra an. Sie sah mich an. Keiner sprach ein Wort.
    Die beiden Gorillas führten uns in die Gondel. Alles roch brandneu. Die Lederbezüge atmeten Luxus. Der hintere Bereich war abgetrennt und mit sechs Sesseln und einem hügelförmigen Tisch ohne Beine möbliert. Leise Musik erfüllte die Luft. Die Decke zeigte ein elegantes Neon-Dekor. Voronoff und einer der Leibwächter setzten sich uns gegenüber. Quirrenbach bestieg mit dem anderen das vordere Abteil. Hinter der Trennwand waren sie nur als graue Schatten zu erkennen.
    Die Gondel startete sehr weich. Die Arme auf dem Dach klapperten leise wie die Nadeln einer eifrigen Strickerin.
    »Was meinte er mit All?«, fragte ich.
    »Einen Ort namens Refugium. Eins von den Karussells im hohen Orbit«, sagte Voronoff. »Aber Ihnen kann das eigentlich egal sein. Ich meine, Sie wollten ja nicht nur so zum Spaß mitfliegen, oder?«
    Seit meiner Ankunft in der Stadt hatte dieses Refugium schon einmal jemand erwähnt, aber ich konnte mich nicht mehr erinnern, in welchem Zusammenhang das gewesen war.
    »Was passiert, wenn wir dort ankommen?«
    »Das bestimmt Mister Reivich, und Sie werden es rechtzeitig erfahren. Man könnte von Verhandlungen sprechen. Aber bilden Sie sich ja nicht ein, Sie hätten allzu gute Karten, Mirabel. Nach allem, was ich höre, haben Sie Ihre Trümpfe bereits ausgespielt.«
    »Ein paar Asse habe ich immer noch im Ärmel.«

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