Chasm City
auf den Treibstoffverbrauch mit voller Triebwerksleistung geflogen. Vielleicht war er dazu gezwungen gewesen, weil das Zeitfenster, innerhalb dessen seine Abwesenheit unbemerkt bleiben konnte, nur sehr schmal war. Aber er hatte das Risiko wohl für vertretbar gehalten. Immerhin konnte er, wie Gomez gesagt hatte, mit den Treibstoffvorräten der Caleuche rechnen – oder mit deren Shuttles. Damit hätte er den Rückflug ohne Schwierigkeiten schaffen müssen.
Dennoch hatte es wohl Probleme gegeben.
»Hier ist eine Nachricht«, sagte Norquinco, der sich die Anzeigen angesehen hatte.
»Was?«
»Wie ich sagte. Eine Nachricht. Vermutlich von… hm… von ihm.« Bevor Sky ihn dazu auffordern konnte, hatte Norquinco die Nachricht schon abgerufen, sie durch mehrere Softwareprotokolle übersetzen lassen und in ihre Anzüge geleitet. Die Tonspur lief über den normalen Funkkanal, und die visuellen Komponenten wurden auf ein Display auf der Helminnenseite projiziert, sodass der Eindruck entstand, Oliveiras Geistergestalt stünde mit ihnen in der Kabine. Er trug noch denselben Anzug, in dem er auch gestorben war, aber jetzt hatte er das Helmvisier hochgeklappt, sodass sie sein Gesicht sehen konnten. Ein noch ziemlich junger Mann mit dunkler Hautfarbe, in seinen Augen stand Entsetzen, vermischt mit tiefer Resignation.
»Ich denke, ich werde Selbstmord begehen«, sagte er auf Portugiesisch. »Ja, das werde ich tun. Es ist wohl der einzig vernünftige Weg. Sie hätten das in meiner Lage sicher auch getan. Man braucht nicht einmal viel Mut dazu, denn wenn man einen Raumanzug trägt, gibt es ein Dutzend schmerzlose Todesarten. Einige davon sind angeblich sogar noch besser als schmerzlos. Ich werde es bald erfahren. Sagen Sie mir bitte, ob Sie mich mit einem Lächeln auf dem Gesicht gefunden haben? Ich hoffe es. Alles andere wäre einfach nicht fair.«
Sky musste sich konzentrieren, um den Worten folgen zu können, aber die Schwierigkeiten waren nicht unüberwindlich. Die Angehörigen der Sicherheitswache mussten alle anderen innerhalb der Flottille gebräuchlichen Sprachen beherrschen – und Portugiesisch stand dem Castellano viel näher als etwa Arabisch.
»Ich nehme einmal an, dass Sie – wer immer Sie auch sein mögen – aus etwa den gleichen Motiven hier sind wie ich. Aus reiner, schamloser Habgier. Nun, ich kann es Ihnen nicht verdenken – und sollten Sie altruistische Gründe haben, so möchte ich mich in aller Form entschuldigen. Aber das kann ich mir kaum vorstellen. Sie haben sicher wie ich von dem Gespensterschiff gehört und sich gefragt, was es an Bord wohl zu holen gäbe. Hoffentlich haben Sie, was die Treibstoffvorräte angeht, nicht den gleichen Fehler gemacht. Aber vielleicht doch, vielleicht waren Sie sogar schon drin und wissen deshalb genau, wovon ich spreche. Sollten Sie allerdings den Treibstoff brauchen und das Schiff noch nicht betreten haben, dann steht Ihnen – so Leid es mir tut – eine große Enttäuschung bevor. Falls Enttäuschung das richtige Wort ist.« Er hielt inne und schaute auf das Lebenserhaltungssystem hinunter, das er um die Brust geschnallt trug. »Die Caleuche ist nämlich nicht ganz das, wofür Sie sie halten. Sie ist unendlich viel weniger. Und zugleich unendlich viel mehr. Niemand weiß das besser als ich. Ich war nämlich drin. Wir waren beide drin.«
»Beide?«
Es war, als hätte ihn der Mann gehört. »Vielleicht haben Sie Lago ja noch nicht gefunden? Habe ich Lago schon erwähnt? Ich hätte es tun sollen – mein Fehler. Er war ein guter Freund von mir, aber jetzt ist er der Grund, warum ich Selbstmord begehen werde. Gewiss, ohne Treibstoff komme ich nicht mehr nach Hause – und wenn ich um Hilfe bäte, würde man mich zum Tode verurteilen, weil ich überhaupt hierher geflogen bin. Selbst wenn die Brasilia mich nicht hängte, würden es eben die anderen Schiffe tun. Nein – es gibt wirklich keinen Ausweg. Aber wie gesagt, wirklich überzeugt hat mich erst Lago. Der arme, arme Lago. Ich hatte ihn nur auf die Suche nach Treibstoff geschickt. Es tut mir wirklich unendlich Leid.« Er riss sich förmlich aus seinen Gedanken und schien jedem Einzelnen in die Augen zu schauen. »Habe ich Ihnen das andere schon erzählt? Habe ich Ihnen gesagt, dass Sie sofort gehen sollen, falls Sie noch können? Ich bin mir nicht sicher.«
»Schalte das verdammte Ding aus«, sagte Sky.
Norquinco zögerte, dann gehorchte er. Oliveiras Geist erstarrte mitten in seinem Selbstgespräch und hing
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