Chasm City
Jahrhunderte einen gewissen Kontakt zu ihren weit entfernten Verbündeten halten können. Doch dann war sie an die Grenzen der Speicherkapazität ihres Kommunikationsgeräts gestoßen und hatte nur noch sparsam gesendet. Auch hieß es, der Feind hätte ebenfalls Zugriff auf die Botschaften – er besäße Kopien der Geräte –, deshalb sei es nicht ungefährlich, sie zu benützen. Das Wesen hatte sich einsam gefühlt, als es gejagt wurde, aber jetzt begriff es, dass es wahre Einsamkeit nie kennen gelernt hatte. Einsamkeit war eine schwere, eine erdrückende Last, vergleichbar den Felsbergen, die sich über ihm türmten. Dennoch war es nicht dem Wahnsinn verfallen. Alle zwanzigtausend Jahre hatte es sich ein Gespräch mit seinen Verbündeten gestattet und sich so ein schwaches Gefühl der Zugehörigkeit bewahrt, die Illusion, in der Arena der Madenpolitik noch eine kleine Rolle zu spielen.
Doch dann hatte Ferris die Made aus dem Schiff geholt und sie von ihrem Kommunikationsgerät getrennt. Damit hatte für Gideon wohl der Sturz in den Madenwahnsinn begonnen.
»Sie melken ihn, nicht wahr?«, sagte ich. »Er sondert das Traumfeuer ab. Und nicht nur das. Sie verwerten auch seine Angst und seine Einsamkeit, destillieren diese Eindrücke und verkaufen Sie.«
»Wir haben Sonden in sein Gehirn eingeführt«, pfiff Ferris’ Stuhl, »und lesen seine Neuralmuster ab. Die werden im Rostgürtel durch irgendein Computerprogramm gejagt und zu einem Produkt verarbeitet, das ein Mensch gerade noch verkraften kann.«
»Wovon redet er da?«, fragte Zebra.
»Empirika«, antwortete ich. »Die schwarzen mit dem kleinen Madenlogo am oberen Ende. Ich habe sogar eins ausprobiert. Ich hatte keine Ahnung, was mich erwartete.«
»Von denen habe ich gehört«, sagte Zebra. »Aber ich habe selbst keine Erfahrung damit. Ich war nicht einmal sicher, ob es sich dabei nicht um eine Legende handelt.«
»Nein, es gibt sie wirklich.« Ich erinnerte mich nur zu gut an den Schwall von Emotionen, den der Datenstab damals an Bord der Strelnikov in mein Gehirn geleitet hatte. Am stärksten waren die entsetzliche Klaustrophobie und eine lähmende Angst gewesen – unterlegt mit dem abscheulichen Eindruck, die Klaustrophobie wäre, so bedrückend sie auch sein mochte, immer noch besser als das All, in dem die Räuber ihr Unwesen trieben. Ich spürte noch immer das Entsetzen, das das Empirikum mir eingeflösst hatte; seine kaum merkliche, aber doch erkennbar fremde Ausstrahlung. Damals hatte ich mir nicht vorstellen können, warum ein Mensch für eine solche Erfahrung auch noch bezahlen sollte, inzwischen verstand ich das schon sehr viel besser. Es ging um Grenzerfahrungen; um alles, was die Qual der Langeweile etwas mildern konnte.
»Was bekommt er dafür?«, fragte Zebra.
»Eine Pause«, erklärte Ferris.
Ich sah, was er meinte. In dem schwarzen Schleim auf dem Boden des Tanks wateten grau gekleidete Arbeiter mit riesigen Stachelstöcken herum. Das schwarze Zeug reichte ihnen bis zu den Knien. Hin und wieder fuhr einer mit dem Stachelstock über die graue Seite der Made. Dann überlief ein Zittern den plumpen Körper. Blassrotes Sekret spritzte aus den Poren der silbrig-fleckigen Haut. Einer der Arbeiter sprang hin und fing es mit einem Glaskolben auf.
Aus dem Mundorgan am anderen Ende kam ein hohes, schrilles Quieken.
»Ich nehme an, er produziert nicht mehr so viel Traumfeuer wie früher«, sagte ich angewidert. »Was ist es überhaupt? So etwas wie eine organische Maschinerie?«
»Das nehme ich an«, antwortete Ferris mit einer Gleichgültigkeit, die kaum zu überbieten war. »Schließlich hat er die Schmelzseuche hierher gebracht.«
»Hierher gebracht?«, fragte Zebra. »Aber er ist doch schon seit Jahrtausenden hier?«
»Richtig. Und er lag die ganze Zeit im Winterschlaf. Doch dann kamen wir und besetzten die Oberfläche mit unseren jämmerlichen kleinen Siedlungen und Städten.«
»Wusste er, dass er die Seuche hatte?«
»Das bezweifle ich sehr. Vermutlich trug er sie in sich, ohne es zu ahnen; eine alte Infektion, mit der sein Körper sich längst arrangiert hatte. Vielleicht ist das Traumfeuer nur wenig jünger; ein natürlicher oder künstlich entwickelter Schutz gegen die Krankheit: eine lebendige Suppe aus mikroskopisch kleinen Maschinen, die er unaufhörlich absondert. Die Maschinen waren gegen die Seuche immun und hielten sie in Schach, aber sie taten noch viel mehr. Sie heilten Verletzungen und nährten ihren Wirt, leiteten
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