Chasm City
gesorgt, dass so viele Tote wie möglich in eigenen, gleichmäßig über die Länge der Säule verteilten Schläferringen zusammengelegt wurden. Anfangs war das mühsam gewesen, denn die Schläfer hielten sich nicht an meine sorgsam ausgetüftelten Pläne, sondern starben, wo sie wollten. Doch das war, wie gesagt, nur anfangs. Denn mit der Zeit entwickelte ich magische Kräfte. Ich brauchte nur zu wünschen, dass bestimmte Momios starben, und schon geschah es. Natürlich waren gewisse Rituale erforderlich, damit der Zauber auch wirkte. Ich musste die Schläfer besuchen und ihre Tanks berühren. Manchmal (aber das geschah völlig unterbewusst) nahm ich auch winzige Veränderungen an der Einstellung der Lebenserhaltungssysteme vor. Ich legte es nicht bewusst darauf an, ihnen zu schaden… aber auf geheimnisvolle Weise erreichten meine Eingriffe immer das gewünschte Ziel. Es war Zauberei.
Und der Erfolg war groß. Tote und Lebende waren jetzt säuberlich getrennt. Eine ganze Reihe von Schläferringen – sechzehn an der Zahl, mit einhundertundsechzig Tanks – war nun ausschließlich mit Verstorbenen besetzt. Die Hälfte einer zweiten Reihe enthielt weitere sechsundachtzig Tote. Mehr als ein Viertel der Schläfer weilten nicht mehr unter den Lebenden.
Ich tippte die Befehlssequenz ein, die ich mir schon vor langer Zeit eingeprägt hatte. Norquinco hatte sie mir nach Jahren heimlicher Arbeit geliefert. Ihn für meine Zwecke einzuspannen, war ein Geniestreich gewesen. Nach allen technischen Handbüchern und den Ratschlägen der besten Experten wäre das, was ich vorhatte, durch Scharen von Sicherungsblockaden unmöglich gemacht worden. Norquinco hatte sich im Laufe der Jahre in der Hierarchie des Revisionsteams emporgearbeitet und dabei Wege gefunden, jede dieser vermeintlich wasserdichten Sicherungen so raffiniert und behutsam zu umgehen, dass niemand etwas davon bemerkte.
Im Zuge der Arbeit hatte Norquinco an Selbstbewusstsein gewonnen. Seine Verwandlung hatte mich zunächst überrascht, doch dann wurde mir klar, dass sie unvermeidlich war, sobald sich der Mann im Revisionsteam integriert hatte. Norquinco war gezwungen gewesen, zumindest nach außen hin unter anderen Menschen zu funktionieren, anstatt wie bisher in selbst gewählter Isolation zu leben. Als er dann einen höheren Rang erklommen hatte, fand er sich beunruhigend rasch in seine neue Rolle hinein. Irgendwann wurde er auch befördert, ohne dass ich noch nachzuhelfen brauchte.
Doch sein Verhalten an Bord der Caleuche hatte ich ihm nie ganz verziehen.
Wir trafen nur gelegentlich zusammen, doch jedes Mal war sein Auftreten noch eine Spur dreister geworden. Zunächst hatte ich mir weiter nichts dabei gedacht. Die Arbeit ging zügig voran, Norquinco führte in seinen Berichten brav jede Klasse von Sicherungen auf, die er geknackt hatte. Als ich eine Demonstration seiner Erfolge verlangte, war er auch dazu bereit. Ich hatte nicht bezweifelt, dass er fertig sein würde, wenn ich den Zugriff brauchte.
Dann hatte es doch Schwierigkeiten gegeben.
Vier Monate zuvor hatte Norquinco die letzten Sicherungen umgangen, und damit war die Arbeit im Grunde genommen getan. Und plötzlich verstand ich, warum er so viel Entgegenkommen gezeigt hatte.
»Was ich dir jetzt vorschlagen werde«, sagte Norquinco, »nennt man im Fachjargon, glaube ich, Erpressung.«
»Das ist nicht dein Ernst.«
Wir hatten uns auf einer unserer Inspektionstouren im Korridor der Säule in der Nähe von Knoten Sieben getroffen. »O doch, das ist sogar mein voller Ernst, Sky. Das sollte dir klar sein.«
»Allmählich begreife ich.« Ich schaute den Korridor entlang. Irgendwo weiter vorne pulsierte ein rötliches Licht. »Was verlangst du, Norquinco?«
»Einfluss, Sky. Der Revisionstrupp genügt mir nicht mehr. Das ist ein Job für Computerfreaks, eine Sackgasse. Aber ich habe das Interesse an der Technik verloren. Ich war an Bord eines Alien-Raumschiffs. Das verändert den Blickwinkel. Ich möchte mehr gefordert werden. Als wir auf der Caleuche waren, hast du versprochen, mich zu einem mächtigen Mann zu machen. Das habe ich nicht vergessen. Jetzt will ich etwas von dieser Macht. Ich will Verantwortung übernehmen.«
Ich wählte meine Worte mit Bedacht. »Sich in Computerprogramme einzuhacken und ein Schiff zu führen sind zwei grundverschiedene Dinge, Norquinco.«
»Hör auf, mich so von oben herab zu behandeln, du arroganter Bastard. Glaubst du, ich spüre das nicht? Deshalb sagte ich ja,
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