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Chasm City

Chasm City

Titel: Chasm City Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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ich möchte gefordert werden. Ich will auch nicht deinen Job – jedenfalls noch nicht sofort. Hier lasse ich der Natur ihren Lauf. Nein; ich möchte, dass du mich zu einem höheren Offizier machst – eine Stufe unter dir genügt mir. Ein ruhiger Posten mit guten Aufstiegschancen nach der Landung. Auf Journey’s End stecke ich mir dann ein eigenes kleines Reich ab.«
    »Du hast dir viel vorgenommen, Norquinco.«
    »Viel vorgenommen? Natürlich habe ich mir viel vorgenommen. Sonst brauchte ich ja nicht mit Erpressung zu drohen.«
    Der rötliche Schein war näher gekommen, jetzt war auch ein leises Grollen zu hören. »Dich ins Revisionsteam zu bringen, war eine Sache, Norquinco. Dafür warst du immerhin qualifiziert. Aber ich kann dich unmöglich zum Offizier befördern – und wenn ich noch so viele Fäden ziehe.«
    »Das ist nicht mein Problem. Du erzählst mir doch immer, wie schlau du bist, Sky. Jetzt kannst du den Beweis antreten; setz deine Fähigkeiten, dein Urteilsvermögen ein und finde eine Möglichkeit, mir eine Offiziersuniform zu verschaffen.«
    »Gewisse Dinge sind einfach unmöglich.«
    »Nicht für dich, Sky. Nicht für dich. Du wirst mich doch nicht enttäuschen?«
    »Und wenn ich keine Möglichkeit finde…«
    »Wird alle Welt von deinen hübschen Plänen mit den Schläfern erfahren. Ganz zu schweigen von der Sache mit Ramirez. Und auch mit Balcazar. Die Made habe ich noch gar nicht erwähnt.«
    »Dann ziehst du auch dich selbst mit hinein.«
    »Ich werde sagen, ich hätte nur deine Befehle befolgt. Worauf sie hinausliefen, wäre mir erst vor kurzem klar geworden.«
    »Du wusstest es von Anfang an.«
    »Aber das weiß niemand sonst, oder?«
    Ich wollte antworten, aber der Lärm des nahenden Frachtzuges hätte mich gezwungen, die Stimme zu erheben. Die Wagons kamen uns auf dem Rückweg vom Triebwerksbereich über die Schienen entgegengepoltert. Wortlos gingen wir beide zurück zu einer der Nischen, um dort zu warten, bis der Zug vorbei war. Die Züge waren alt, wie so vieles auf der Santiago, und nicht besonders gut gepflegt. Sie funktionierten zwar nach wie vor, aber viele mehr oder weniger entbehrliche Systeme hatte man entfernt, um sie anderweitig zu verwenden, oder nicht repariert, wenn sie kaputt gegangen waren.
    Schweigend standen wir Schulter an Schulter. Der Zug kam näher. Die plumpe Lokomotive füllte bis auf einen kleinen Spalt zu beiden Seiten den Korridor völlig aus. Ich fragte mich, was Norquinco genau in diesem Moment wohl dachte. Ob er sich wirklich einbildete, ich würde auf seine Erpressung eingehen?
    Als die polternden Güterwagen nur noch drei oder vier Meter entfernt waren, versetzte ich Norquinco einen Stoß, und er fiel vornüber auf die Schienen.
    Die Lokomotive schob ihn gewaltsam vor sich her, bis ich ihn nicht mehr sehen konnte. Der Zug fuhr noch ein Stück weiter, bevor er allmählich langsamer wurde. Eigentlich hätte er sofort anhalten müssen, sobald er ein Hindernis auf seinem Weg entdeckte, aber das war wohl eins der Systeme, die schon vor Jahren ausgefallen waren.
    Die Motoren heizten sich mit leisem Summen auf. Stechender Ozongeruch stieg mir in die Nase.
    Ich zwängte mich aus der Nische. Es war schwierig, und wäre der Zug gefahren, dann wäre es unmöglich gewesen. So blieb gerade genug Platz, um mich an den Wagons vorbei nach vorne zu drücken. Ich hoffte nur, dass ich dabei nicht zufällig einen Hebel verstellte. Wäre der Zug nämlich wieder angefahren, er hätte mich mit Sicherheit zermalmt.
    Vorne angekommen, erwartete ich, Norquincos sterbliche Überreste zwischen Lokomotive und Schienen eingequetscht zu sehen.
    Doch Norquinco lag neben den Schienen. Sein zerbeulter Werkzeugkasten hatte sich unter der Lokomotive verkeilt.
    Ich kniete nieder und untersuchte den Mann. Er war mit der Schläfe über den Boden geschrammt, die Haut war aufgerissen und die Wunde blutete stark, aber der Schädel schien nicht gebrochen zu sein. Norquinco war bewusstlos, aber er atmete noch.
    Mir kam eine Idee. Norquinco war mir zur Last geworden und musste irgendwann sterben – wahrscheinlich eher früher als später –, aber dieser Gedanke war zu verlockend, zu poetisch, um ihn nicht weiter zu verfolgen. Allerdings war die Sache nicht ungefährlich, und ich durfte für einige Zeit – schätzungsweise mindestens dreißig Minuten – nicht gestört werden. Länger konnte die Verspätung des Zuges ohnehin nicht unbemerkt bleiben. Aber würde sich sofort jemand darum kümmern? Ich

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