Chasm City
Schwan, war keine helle Sonne. Zwar bewegte sich die Welt auf einer engen Bahn um den Zwergstern, aber Tageslicht bedeutete hier etwas anderes als auf den Bildern von der Erde, die Clown mir gezeigt hatte. Der Stern leuchtete wie eine armselige Funzel. Er strahlte überwiegend im roten Bereich, obwohl er immer noch weiß aussah, wenn man ihn mit bloßem Auge betrachtete. Aber das war keine Überraschung. Wie viel Energie die Zielwelt auf ihrer Bahn erhielt, hatte man schon vor über einhundertfünfzig Jahren gewusst, noch bevor die Flottille von ihrem Heimatsystem gestartet war.
Tief im Frachtraum der Santiago, zu leicht, um als Ballast abgeworfen zu werden, lagerte ein Gebilde von durchsichtiger Schönheit. Mehrere Arbeitstrupps waren dabei, es einsatzbereit zu machen. Sie hatten es aus dem Raumschiff geholt und hängten es nun an einen Orbitalschlepper, um es aus dem Schwerkraftfeld des Planeten hinaus zum Lagrange-Punkt zwischen Journey’s End und dem Schwan zu ziehen. Dort sollte es, mit winzigen Ionenschüben auf seiner Bahn gehalten, Jahrhunderte lang schweben. Wenn alles nach Plan ging.
Ich wandte den Blick von der Planetenkugel ab und schaute hinaus in den interstellaren Raum. Die beiden anderen Schiffe, die Brasilia und die Bagdad, waren noch da draußen.
Nach neuesten Schätzungen würden sie in etwa drei Monaten eintreffen, aber ein gewisser Fehlerspielraum war unvermeidlich.
Egal.
Das erste Shuttle-Geschwader hatte bereits etliche Flüge zur Oberfläche und wieder zurück absolviert, außerdem hatte man viele mit Transpondern versehene Frachtpakete abgeworfen, die in ein paar Monaten geborgen werden sollten. Ein Shuttle war gerade auf dem Flug nach unten. Der delta-förmige Rumpf zeichnete sich schwarz vor der Landzunge am Äquator ab, die vom Geographie-Team als die Halbinsel bezeichnet wurde. Sicher würde man in den nächsten Wochen eine etwas bildhaftere Bezeichnung dafür finden. Fünf Flüge waren noch erforderlich, um alle verbliebenen Kolonisten auf der Oberfläche abzusetzen, fünf weitere, um die gesamte Besatzung und die schweren Geräte hinunter zu schaffen, die man nicht als Frachtpakete abwerfen konnte. Die Santiago würde im Orbit bleiben, ein nacktes Skelett, von dem man alles abmontiert hatte, was irgendwie zu verwenden war.
Die Schubdüsen des Shuttles zündeten kurz und brachten es auf Kurs zum Eintritt in die Atmosphäre. Ich sah ihm nach, bis es verschwunden war. Wenige Minuten später glaubte ich unweit des Horizonts ein Aufblitzen zu beobachten. Es hatte die Luftschicht berührt. Nicht mehr lange, dann war es am Boden. Nahe der Südspitze der Halbinsel war bereits ein erstes Landecamp entstanden. Wir dachten daran, es Nueva Santiago zu nennen – aber auch das hatte noch Zeit.
Und jetzt öffnete sich die Pupille des Schwans.
Natürlich konnte ich nicht so weit sehen, aber in diesem Moment wurde am Lagrange-Punkt das wenige Angström dünne Plastikgebilde entfaltet.
Die Position war fast perfekt.
Es war, als fiele der Strahl einer Taschenlampe auf die dunkle Welt und erzeugte einen ellipsenförmigen Lichtfleck. Der Strahl bewegte sich suchend – der Fleck verformte sich. Wenn er erst richtig eingestellt war, bekam die Halbinsel-Region doppelt so viel Sonnenlicht wie zuvor.
Ich wusste, dass es da unten Leben gab. Wie würde es sich wohl auf die Veränderung der Lichtverhältnisse einstellen? Es fiel mir schwer, die angemessene Begeisterung aufzubringen.
Mein Kom-Armband meldete sich. Ich sah auf das Display. Wer von der Besatzung mochte wohl die Dreistigkeit besitzen, mich in meinem Triumph zu stören? Aber das Armband teilte mir nur mit, dass in meiner Kabine eine Aufzeichnung auf mich wartete. Verärgert – aber zugleich auch neugierig – verließ ich die Aussichtskanzel und passierte eine Reihe von Schleusen und Transferkabinen, bis ich den rotierenden Hauptteil unseres großen Schiffes erreichte. Hier herrschte Schwerkraft, und ich schritt ruhig und ungehemmt aus und tilgte auch den leisesten Zweifel aus meinen Zügen. Hin und wieder kamen Besatzungsmitglieder und höhere Offiziere an mir vorüber und salutierten; manche wollten mir sogar die Hand schütteln. Allgemein herrschte großer Jubel. Wir hatten den interstellaren Raum durchquert und waren wohlbehalten auf einer neuen Welt gelandet. Und ich hatte uns vor unseren Rivalen ans Ziel gebracht.
Immer wieder blieb ich stehen, um mit dem einen oder anderen ein paar Worte zu wechseln – Verbündete zu gewinnen
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