Chasm City
diese Information ausgegraben hatte; ich konnte nicht sehr viel älter sein, als ich aussah, denn was die Verfahren zur Lebensverlängerung anging, hinkten wir dem Rest der Menschheit um Jahrhunderte hinterher.
Wieder fiel eine Erinnerungsscherbe an ihren Platz.
»Danke«, sagte ich. Ich hatte vorerst genug gesehen. »Ich denke, damit haben Sie mir sehr geholfen. Jetzt bin ich mir ziemlich sicher, dass meine Amnesie nicht von Dauer sein wird.«
»Das ist fast nie der Fall.«
»Das sollte eigentlich ein Scherz sein. Wollen Sie damit sagen, dass es Menschen gibt, die ihr Gedächtnis niemals wiederfinden?«
»Ja«, sagte sie, ohne ihre Traurigkeit zu verbergen. »Und meistens sind sie dadurch so behindert, dass eine Einwanderung nicht mehr möglich ist.«
»Und was geschieht dann mit ihnen?«
»Sie bleiben hier. Wir bringen ihnen bei, uns zu helfen; sie arbeiten auf den Terrassen. Manchmal treten sie sogar in den Orden ein.«
»Arme Seelen.«
Amelia stand auf und winkte mir, ihr zu folgen. »Ach, Tanner, es gibt schlimmere Schicksale. Wer wüsste das besser als ich?«
Sechs
Er war zehn Jahre alt und ging mit seinem Vater durch den Frachtraum. Ihre Stiefel quietschten auf dem gewölbten, blank polierten Boden, und in der dunklen Oberfläche konnten sie ihr Spiegelbild sehen: ein Mann und ein Junge stiegen einen endlosen Hang hinauf, der für das Auge immer steiler wurde, obwohl er sich unter ihren Füßen ganz eben anfühlte.
»Wir gehen nach draußen, nicht wahr?«, fragte Sky.
Titus sah auf seinen Sohn hinab. »Wie kommst du denn darauf?«
»Sonst wärst du nicht mit mir hierher gekommen.«
Titus sagte nichts, Widerspruch wäre auch zwecklos gewesen. Sky war noch nie zuvor im Frachtraum gewesen; nicht einmal auf einem von Constanzas unerlaubten Ausflügen in die verbotenen Zonen der Santiago. Sky hatte nicht vergessen, wie sie ihn zu den Delphinen mitgenommen hatte und wie er dafür bestraft worden war. Doch was dann kam, hatte die Strafe völlig in den Schatten gestellt: der Blitz, das lange Warten, eingesperrt in seinem dunklen Kinderzimmer, allein und frierend. Inzwischen war das alles sehr weit weg, aber einiges, was an diesem Tag geschehen war, verstand er immer noch nicht so ganz, und er hatte seinen Vater nie dazu bewegen können, mit ihm darüber zu sprechen. Das hatte nicht nur mit Starrköpfigkeit zu tun; nicht nur mit Titus’ Trauer über den Tod von Skys Mutter. Die stillschweigende Zensur – denn es war mehr als nur eine einfache Weigerung, den Vorfall zu erörtern – wirkte bei jedem Erwachsenen, den Sky darauf angesprochen hatte. Niemand erwähnte den Tag, an dem das ganze Schiff in Kälte und Dunkelheit versunken war, dennoch war Skys Erinnerung daran sehr lebendig geblieben.
Nach einigen Tagen – im Nachhinein war er ziemlich sicher, dass es tatsächlich Tage gedauert hatte – war es den Erwachsenen gelungen, die Hauptbeleuchtung wieder in Gang zu bringen. Sky hörte, wie die Luftzirkulatoren wieder ansprangen – wie das schwache Hintergrundgeräusch zurückkehrte, das ihm eigentlich erst aufgefallen war, als es fehlte. Bis dahin, so hatte ihm sein Vater später erzählt, hatten sie nicht umgewälzte Luft geatmet, die zunehmend verbrauchter roch, je mehr Kohlendioxid die hundertundfünfzig wachen Menschen in die Atmosphäre zurückgaben. Wenige Tage länger, und es hätte ernsthafte Probleme gegeben, aber nun wurde die Luft spürbar frischer, und das Schiff erwärmte sich so weit, dass man wieder ohne zu frösteln durch die Korridore gehen konnte. Verschiedene Sekundärsysteme, auf die man während des Stromausfalls nicht hatte zugreifen können, wurden zögernd angefahren. Die Bahn, die Material und Techniker die Säule hinauf und hinunter beförderte, nahm den Betrieb wieder auf. Die Informationsnetze des Schiffes waren bislang stumm geblieben, nun gaben sie erneut Auskunft. Auch das Essen wurde besser, aber Sky hatte kaum mitbekommen, dass man sich während des Blackouts von Notrationen ernährt hatte.
Doch immer noch erklärte ihm keiner von den Erwachsenen, was eigentlich geschehen war.
Als endlich wieder so etwas wie Normalität auf dem Schiff eingekehrt war, schlich Sky sich heimlich in sein Kinderzimmer zurück. Im Raum brannte Licht, doch er sah erstaunt, dass alles noch mehr oder weniger so war, wie er es zurückgelassen hatte: Clown hatte immer noch die Form, in der er nach dem Blitz erstarrt war. Sky trat vorsichtig näher und untersuchte die Missgestalt seines
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