Chasm City
Dann sagt man, das Schiff streift seinen Rumpf ab – wie eine Eidechse ihre Haut.«
»Aha.« Ich hatte verstanden. »Und solche Rümpfe werden vermutlich zu Schleuderpreisen verkauft.«
»Man hat ihn nicht einmal verkauft – man hat das gute Stück einfach als Weltraumschrott im Orbit ausgesetzt, bis es von anderen Trümmern gerammt wurde. Wir haben es geborgen, seinen Spin stabilisiert und es mit Abraum von Marcos Mond ausgekleidet. Wir mussten lange warten, bis wir ein dazu passendes Stück fanden, aber irgendwann hatten wir zwei Schalen, die wir zusammenfügen konnten. So entstand Idlewild.«
»Ein richtiges Schnäppchen.«
»Oh, es hängt eine Menge Arbeit daran. Aber das Modell kommt unseren Bedürfnissen sehr entgegen. Zum einen braucht man für ein Habitat dieser Form sehr viel weniger Luft als für einen Zylinder der gleichen Länge. Und wenn wir älter und gebrechlicher werden und in der Mitte, wo die beiden Rümpfe aneinander stoßen, nicht mehr so gut arbeiten können, halten wir uns eben zunehmend mehr in den höher gelegenen Regionen mit geringerer Schwerkraft auf. So kommen wir den Endpunkten – oder, wie wir sagen, dem Himmel – allmählich immer näher.«
»Hoffentlich nicht zu nahe.«
»Ach, da oben ist es gar nicht so übel.« Amelia lächelte. »Die Alten können immerhin auf uns herunterschauen.«
Von hinten war ein Geräusch zu hören; leise Schritte näherten sich. Ich erstarrte, und wieder wollte sich meine Hand um eine nicht vorhandene Waffe schließen. Eine Gestalt kam, kaum sichtbar, in die Höhle geschlichen. Ich sah Amelia zusammenzucken. Die Gestalt verharrte einen Augenblick, nur ihre Atemzüge waren zu hören. Ich sagte nichts, wartete nur geduldig, bis die Welt wieder auftauchte und ihr Licht auf den Fremden warf.
Endlich sagte er: »Amelia, du weißt doch, dass du hier unten nichts zu suchen hast. Es ist verboten.«
»Bruder Alexei«, sagte sie. »Du solltest wissen, dass ich nicht alleine bin.«
Sein Lachen hallte – unaufrichtig und gekünstelt – von den Höhlenwänden wider. »Der Witz ist gut, Amelia. Ich weiß doch, dass du alleine bist. Ich bin dir schließlich gefolgt, nicht wahr? Dabei habe ich gesehen, dass niemand bei dir ist.«
»Aber es ist doch jemand bei mir. Du musst mich gesehen haben, als ich zurückblieb. Ich dachte mir, dass du uns folgst, aber ich war mir nicht sicher.«
Ich sagte noch immer nichts.
»Im Lügen warst du noch nie sehr gut, Amelia.«
»Mag sein, aber jetzt sage ich zufällig die Wahrheit – nicht wahr, Tanner?«
Das Licht kehrte in dem Moment zurück, in dem ich antwortete, und fiel auf den Mann. Amelia hatte ihn ›Bruder‹ genannt, daher wusste ich bereits, dass er ebenfalls dem Bettelorden angehörte, aber er war anders gekleidet als sie. Er trug eine einfache schwarze Kutte mit einer Kapuze, und das Schneeflockenmotiv war auf der Brust aufgenäht. Die Arme hatte er lässig unter dem Motiv verschränkt, und sein Lächeln strahlte mehr Gier als heitere Gelassenheit aus. Die Gier stand auch in seinen Zügen: der leichenblassen Haut, den tiefen Schatten auf Kinn und Wangen.
»Sie sagt die Wahrheit«, bestätigte ich.
Er trat einen Schritt näher. »Lass dich mal genauer ansehen, du Matschraupe.« Seine tiefliegenden Augen funkelten in der Dunkelheit. Er musterte mich scharf. »Bist noch nicht lange wach, wie?«
»Ein paar Stunden.« Ich stand auf, damit er sehen konnte, mit wem er es zu tun hatte. Er war größer als ich, aber wir hatten wahrscheinlich das gleiche Gewicht. »Noch nicht lange, aber lange genug, um zu wissen, dass ich mich nicht gern Matschraupe nennen lasse. Was soll das überhaupt sein – ein Schimpfwort? Seid ihr Eisbettler am Ende gar nicht so fromm, wie ihr tut?«
Alexei grinste höhnisch. »Was weißt du denn schon?«
Ich ging über den Glasboden auf ihn zu. Unter meinen Füßen zogen die Sterne vorbei. Ich glaubte begriffen zu haben, was hier ablief. »Du bist hinter Amelia her, wie? Es macht dich an, sie hierher zu verfolgen. Was treibst du mit ihr, wenn du sie ohne Begleitung erwischst, Alexei?«
»Göttliche Dinge«, sagte er.
Jetzt begriff ich, warum sie vorher zurückgeblieben war.
Sie wollte, dass Alexei sie beobachtete und den Schluss zog, sie sei allein. Dieses eine Mal hatte sie es wohl darauf angelegt, dass er ihr nachstieg, weil sie gewusst hatte, dass ich da sein würde. Wie lange ging das wohl schon so – wie lange hatte sie warten müssen, bis jemand reanimiert wurde, dem sie
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