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Chasm City

Chasm City

Titel: Chasm City Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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Vertrauen schenken konnte?
    »Nimm dich in Acht«, warnte Amelia. »Dieser Mann ist der Held von Nueva Valparaiso, Alexei. Er hat dort mehreren Menschen das Leben gerettet. Er ist nicht irgendein zahmer Tourist.«
    »Was ist er dann?«
    »Ich weiß es nicht«, antwortete ich an ihrer Stelle. Doch im gleichen Atemzug legte ich die zwei Meter zurück, die mich von Alexei noch trennten, und stieß ihn hart gegen die Höhlenwand. Dann legte ich ihm den Arm unter das Kinn und übte gerade so viel Druck aus, dass er glauben musste, ich wollte ihn erwürgen. Die Bewegungen folgten so schnell und mühelos aufeinander, als gähnte ich nur.
    »Aufhören…«, sagte er. »Bitte… Sie tun mir weh.«
    Ein Gegenstand fiel ihm aus der Hand: eine spitze Gartenschaufel. Ich stieß sie mit dem Fuß weg.
    »Du bist ein dummer Junge, Alexei. Wenn du schon eine Waffe mitnimmst, solltest du sie nicht verlieren.«
    »Sie erwürgen mich!«
    »Das ist nicht wahr, sonst, könntest du nicht mehr sprechen. Du wärst bereits bewusstlos.« Trotzdem nahm ich den Arm weg und stieß Alexei in den Tunnel hinein. Er stolperte und schlug hart auf. Etwas rollte ihm aus der Tasche; vermutlich noch ein Waffenersatz.
    »Bitte…«
    »Pass gut auf, Alexei. Das war nur eine Warnung. Wenn sich unsere Wege noch einmal kreuzen, gehst du mit einem gebrochenen Arm nach Hause, verstanden? Ich will dich hier nicht wieder sehen.« Ich hob die Gartenschaufel auf und warf sie ihm nach. »Geh wieder in deinen Garten und buddle weiter, Junge.«
    Er stand auf, murmelte eine Verwünschung und verschwand hastig im Dunkeln.
    »Wie lange geht das schon so?«
    »Ein paar Monate.« Sie sprach jetzt sehr leise. Wir warteten, bis Yellowstone und der Schwarm parkender Schiffe abermals in Sicht kamen, dann fuhr sie fort: »Was er sagte – oder andeutete – ist nie passiert. Er hat mich immer nur erschreckt. Aber er geht jedes Mal ein bisschen weiter. Er macht mir Angst, Tanner. Ich bin froh, dass Sie bei mir waren.«
    »Das hatten Sie doch so geplant? Sie hatten gehofft, dass er es heute wieder probieren würde.«
    »Aber dann fürchtete ich, Sie würden ihn töten. Das hätten Sie doch gekonnt, nicht wahr? Wenn Sie gewollt hätten?«
    Sie hatte die Frage ausgesprochen, die ich mir auch selbst stellen musste. Mir wurde klar, dass es ein Kinderspiel gewesen wäre, ihn zu töten – mit einer leichten Veränderung des Hebelgriffs, den ich bereits angesetzt hatte. Es hätte mich nicht mehr Kraft gekostet, wäre kein Grund gewesen, die Ruhe zu verlieren, die ich während des ganzen Zwischenfalls verspürt hatte.
    »Es hätte den Aufwand nicht gelohnt«, sagte ich und hob das Ding auf, das ihm aus der Tasche gefallen war. Jetzt sah ich, dass es keine Waffe war – jedenfalls keine, die mir bekannt gewesen wäre.
    Es sah eher aus wie eine Spritze, und die Flüssigkeit darin mochte schwarz oder dunkelrot sein, wahrscheinlich Letzteres.
    »Was ist das?«
    »Etwas, das in Idlewild nichts zu suchen hat. Geben Sie es mir, bitte? Ich werde dafür sorgen, dass es vernichtet wird.«
    Ich überließ ihr die Injektionsspritze bereitwillig; ich hatte keine Verwendung dafür. Amelia steckte sie mit allen Anzeichen von Abscheu in die Tasche, dann sagte sie: »Tanner, sobald Sie uns verlassen, wird er mir wieder nachstellen.«
    »Darum kümmern wir uns später – außerdem verlasse ich Sie noch nicht gleich, nicht wahr? Bestimmt nicht, so lange mein Gedächtnis in diesem desolaten Zustand ist.« Um sie etwas aufzuheitern, fügte ich hinzu: »Hatten Sie mir nicht versprochen, mir mein Gesicht zeigen.«
    Die Antwort kam zögernd: »Das ist richtig.« Sie holte die kleine Stablampe heraus, mit der sie uns im Tunnel geleuchtet hatte, und befahl mir, mich wieder hinzuknien und in das Glas zu schauen. Als Yellowstone und sein Mond vorbeigezogen waren und die Höhle wieder im Dunkeln lag, richtete sie die Lampe auf mein Gesicht. Nun konnte ich im Glas mein Spiegelbild betrachten.
    Es war kein erschreckend fremder Anblick. Wie denn auch? Seit ich aufgewacht war, hatte ich mein Gesicht doch mindestens ein Dutzend Mal mit den Fingern abgetastet. Ich hatte geahnt, dass es ebenmäßig und unauffällig sein würde, und so war es auch. Das Gesicht eines halbwegs erfolgreichen Schauspielers oder eines Politikers mit fragwürdigen Motiven. Ein dunkelhaariger Mann Anfang der Vierzig – und das war auf Sky’s Edge mehr oder weniger wörtlich zu nehmen, auch wenn ich nicht genau wusste, aus welchen Tiefen ich

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