Chasm City
Pflanzen überwucherten Gebäuden im Umkreis des Reptilienhauses vorbei, bis ich die alte Piste fand, die gleich dahinter im Wald verschwand. Noch ein paar Monate, und die Fahrt wäre nicht mehr möglich gewesen – die Wunde, die man einst ins Herz des Dschungels geschlagen hatte, wuchs allmählich wieder zu. Danach würde man schon Flammenwerfer brauchen, um den Weg wieder frei zu machen.
Das Reptilienhaus und seine Umgebung waren einst Teil eines zoologischen Gartens gewesen, den man während einer der aussichtsreicheren Feuerpausen gebaut hatte. In diesem speziellen Fall hatte der Waffenstillstand nur zehn Jahre gehalten – aber die Menschen hatten sich wohl so große Hoffnungen auf einen dauerhaften Frieden gemacht, dass sie sich an ein so militärisch wertloses und zivilisatorisch verdienstvolles Projekt wie einen Tierpark gewagt hatten. Geplant war, terranische und einheimische Spezies in gleicher Umgebung auszustellen und so die Gemeinsamkeiten wie die Unterschiede zwischen der Erde und Sky’s Edge zu demonstrieren.
Aber der Zoo war nie ganz fertig gestellt worden, und nun hatte Cahuella das Reptilienhaus, das einzige Bauwerk, das noch intakt war, zu seiner persönlichen Residenz gemacht. Dafür war es gut geeignet: weitab vom Schuss und gut zu verteidigen. Cahuella träumte davon, in den Vivarien im Keller mit selbst gefangenen Tieren eine private Sammlung aufzubauen. Kernstück sollte eine fast erwachsene oder präadulte Hamadryade werden, die er erst noch finden musste. Schon die Jungschlange brauchte sehr viel Platz; für ein ausgewachsenes Tier müsste man einen neuen Keller bauen – ganz zu schweigen von dem umfangreichen Fachwissen, das für die Haltung einer Art erforderlich war, bei der die biochemischen Unterschiede zwischen Jungtieren und Erwachsenen so groß waren wie hier. Mehrere Räume des Hauses waren bereits voll mit Häuten, Zähnen und Knochen von Tieren, die mein Arbeitgeber von seinen Jagdexpeditionen mit nach Hause gebracht hatte. Lebende Tiere interessierten ihn nicht. Wenn er ein lebendes Exemplar haben wollte, dann nur aus einem einzigen Grund: um künftigen Besuchern zu demonstrieren, wie viel mehr waidmännisches Können es erforderte, eine Hamadryade in freier Wildbahn nicht zu erlegen, sondern zu fangen.
Ich jagte den Wagen über die Piste. Äste und Ranken schlugen gegen die Karosserie. Das Heulen der Turbinen übertönte auf Meilen im Umkreis alle Stimmen des Waldes.
»Erzählen Sie mir von den Besuchern«, sagte ich. Mein Kehlkopfmikrofon übertrug jedes Wort in die Kopfhörer, die sich Cahuella aufgesetzt hatte.
»Die bekommen sie noch früh genug zu sehen.«
»War es deren Vorschlag, die Lichtung als Treffpunkt zu nehmen?«
»Nein – das war meine Idee.«
»Aber wissen die auch, welche Lichtung Sie meinten?«
»Das ist nicht nötig.« Er deutete mit dem Kopf nach oben. Ich riskierte einen Blick zum Blätterdach, und als für einen Moment der Himmel sichtbar wurde, entdeckte ich einen grellen dreieckigen Fleck, der über uns schwebte wie ein aus dem Firmament geschnittener Keil. »Sie folgen uns, seit wir das Haus verlassen haben.«
»Das ist kein einheimisches Flugzeug«, bemerkte ich.
»Das ist überhaupt kein Flugzeug, Tanner. Das ist ein Raumschiff.«
Nach einer Stunde Fahrt durch immer dichteren Urwald erreichten wir die Lichtung. Jemand musste hier vor einigen Jahren ein Loch in den Dschungel gebrannt haben – wahrscheinlich eine Rakete, die ihr Ziel weit verfehlt hatte. Vielleicht hätte sie sogar das Reptilienhaus treffen sollen; Cahuella hatte so viele Feinde, dass diese Möglichkeit nicht auszuschließen war. Zum Glück hatten die meisten keine Ahnung, wo er lebte. Inzwischen wuchs die Lichtung allmählich wieder zu, aber noch war der Boden eben genug für eine Landung.
Das deltaförmige Raumschiff hielt über uns an und sank lautlos wie eine Fledermaus tiefer. Jetzt sah ich, dass es an der Unterseite mit Tausenden von grell leuchtenden Hitzeelementen besetzt war. Es war fünfzig Meter breit; etwa halb so breit wie die Lichtung. Der erste Wärmeschwall traf mein Gesicht, dann setzte – kaum hörbar – ein tiefes Summen ein.
Ringsum verstummte der Dschungel.
Das Deltoid sank tiefer, aus den Spitzen sprießten drei nach unten offene Halbkugeln. Nun war es unterhalb der Baumwipfel. Die Hitze, die es abstrahlte, trieb mir den Schweiß auf die Stirn. Ich hob die Hand, um meine Augen vor der gleißenden Helligkeit zu schützen.
Das Glühen schwächte
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