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Chasm City

Chasm City

Titel: Chasm City Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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mehr verlassen – und dann wollen selbst die Ultras nichts mehr mit mir zu tun haben.«
    Man zeigte uns zwei freie Liegen. Das Schiff hob ab, kaum dass wir mit dem Anschnallen fertig waren. Ringsum waren transparente Felder in die Wände eingelassen, und so konnte ich beobachten, wie die Lichtung unter uns zurückblieb, bis sie wie ein einzelner Fußabdruck aussah, auf den ein Lichtstrahl fiel. Auf einer Seite war fast am Horizont ein leuchtender Punkt zu erkennen, das musste das Reptilienhaus sein. Der Rest des Dschungels war schwarz wie das nächtliche Meer.
    »Warum haben Sie gerade diese Lichtung als Treffpunkt gewählt?«, fragte die Ultra-Frau.
    »Wenn Sie auf einem Baum gelandet wären, hätte das ziemlich albern ausgesehen.«
    »Das meine ich nicht. Wir hätten uns mit minimalem Aufwand einen eigenen Landeplatz schaffen können. Aber die Lichtung hat wohl eine besondere Bedeutung, nicht wahr?« Es klang, als sei die Antwort für die Frau nicht weiter von Interesse. »Wir haben sie beim Anflug gescannt. Darunter ist etwas vergraben; ein regelmäßig geformter Hohlraum. Eine Kammer, gefüllt mit Maschinen.«
    »Wir haben alle unsere kleinen Geheimnisse«, sagte Cahuella.
    Die Frau sah ihn lange an, dann ließ sie das Thema mit einer Handbewegung fallen.
    Das Schiff machte einen jähen Satz nach oben, ich wurde vom Andruck gegen die Liege gepresst. Ich bemühte mich verbissen, mir mein Unbehagen nicht anmerken zu lassen, aber ein Vergnügen war es nicht. Die Ultras zischten sich, ohne eine Miene zu verziehen, technische Daten zu: Windgeschwindigkeit, Steigwinkel. Die beiden, die uns in Empfang genommen hatten, waren mit ihren Liegen durch dicke silberne Nabelschnüre verbunden, die vermutlich ihre Atmung und ihren Kreislauf während des Steigflugs unterstützten. Wir tauchten aus der Atmosphäre auf und stiegen weiter. Inzwischen waren wir über der Tagseite. Sky’s Edge sah blaugrün und zerbrechlich aus; eine trügerische Idylle, vermutlich genau wie an dem Tag, als die Santiago erstmals in den Orbit ging. Von hier aus war vom Krieg zunächst nichts zu sehen, doch dann entdeckte ich dicht am Horizont die federleichten schwarzen Rauchfahnen brennender Ölfelder.
    Eine solche Aussicht hatte ich noch nie erlebt. Ich war noch nie im Weltraum gewesen.
    »Zielanflug zur Orvieto«, meldete der Pilot namens Pellegrino.
    Das Mutterschiff kam rasch näher. Es war ein präzis geformter, vier Kilometer langer Kegel; so schwarz und massiv wie ein schlafender Vulkan. Ein Lichtschiff; so nannten die Ultras ihre Schiffe – elegante Nachtblitze, die nur um eine Winzigkeit unterhalb der Lichtgeschwindigkeit durch das All jagten. Ich war unwillkürlich beeindruckt. Die Technik, mit der dieses Schiff den Weltraum durchquerte, war fortschrittlicher als alles, was auf Sky’s Edge zu finden war, fortschrittlicher, als ich es mir überhaupt vorstellen konnte.
    Den Ultras musste unser Planet vorkommen wie ein soziologisches Experiment: eine Zeitkapsel, die, wenn auch nur unvollkommen, seit drei- oder vierhundert Jahren überholte Technologien und Ideologien konservierte. Natürlich war das nicht allein unsere Schuld. Als die Flottille am Ende des einundzwanzigsten Jahrhunderts den Merkur-Orbit verlassen hatte, waren die Schiffe technisch voll auf der Höhe ihrer Zeit gewesen. Aber sie hatten einhundertfünfzig Jahre gebraucht, um durch das All zum Schwan-System zu schleichen – in dieser Zeit hatte sich die Technologie um Sol herum in rasanten Sprüngen weiter entwickelt, während die Flottille in Zeitlosigkeit erstarrte.
    Als wir landeten, hatten andere Welten längst die lichtgeschwindigkeitsnahe Raumfahrt entdeckt und degradierten damit unser grandioses Unternehmen zu einer kläglichen puritanischen Geste, die nach fanatischer Selbstgeißelung roch.
    Irgendwann kamen die schnellen Schiffe auch nach Sky’s Edge, ihre Datenspeicher waren voll mit technischen Neuerungen, die uns auf Wunsch mit einem Riesensatz in die Gegenwart hätten katapultieren können.
    Doch da befanden wir uns schon im Krieg.
    Wir wussten, was man erreichen konnte, aber wir hatten weder die Zeit noch die Mittel, um zu kopieren, was andere längst geschaffen hatten, und unser Planet war auch nicht finanzkräftig genug, um die Wunderwerke von der Stange zu kaufen, wenn Händler bei uns vorbei kamen. Neue Technologien wurden nur dann angeschafft, wenn sie unmittelbar militärisch einsetzbar waren, und selbst das trieb uns schon fast in den Bankrott.

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