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Chasm City

Chasm City

Titel: Chasm City Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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Wandverkleidung eingenäht waren. Die Eisbettler schafften das ohne Weiteres und amüsierten sich insgeheim über meine unbeholfenen Versuche, mich irgendwo zu festzuhalten.
    Aber die Aussicht lohnte die Mühe.
    Von hier war der parkende Schwarm, den Amelia mir zwei Tage zuvor gezeigt hatte – jene riesige Schule von Raumschiffen, jedes so groß wie Idlewild, aber in der Menge reduziert auf winzige scharfe Splitter –, deutlicher zu erkennen. Hin und wieder erstrahlte die Schar für einen Moment in violettem Licht, wenn eines der Schiffe seine Rumpfdüsen zündete und – höflichkeitshalber, um geschickt seine Position zu verbessern oder einer drohenden Kollision auszuweichen – seine träge Bahn um die anderen Schiffe korrigierte. Die Lichter ferner Schiffe waren immer wieder von einer herzzerreißenden Schönheit, dachte ich. Sie symbolisierten die Errungenschaften der Menschheit und zugleich die riesigen Weiten, die diese Errungenschaften so klein und schwach erscheinen ließen. Dabei kam es nicht darauf an, ob die Lichter einer Karavelle gehörten, die sich am Horizont durch die stürmischen Wogen kämpfte, oder einem Raumschiff mit diamantverkleidetem Rumpf, das sich soeben durch den interstellaren Raum gepflügt hatte.
    Zwischen dem Schwarm und Idlewild sah ich ein paar hellere Flecken, Triebwerksfeuer von Shuttles, die das System durchquerten, oder von neu ankommenden oder wieder abfliegenden Raumschiffen. Im Vordergrund präsentierte sich Idlewilds Nabe – die Spitze des Kegels – als Sammelsurium von willkürlich angeordneten Andockluken, Wartungsöffnungen, Quarantänezonen und Lazaretträumen. Dort lagen etwa ein Dutzend Schiffe, die meisten waren am Hospiz verankert, sahen aber eher wie kleine Wartungsboote aus – Fahrzeuge, mit denen die Eisbettler um ihre Welt herumfliegen und Reparaturen ausführen konnten. Nur zwei große Schiffe waren darunter, und beide wären neben den Lichtschiffen im parkenden Schwarm nur kleine Fische gewesen.
    Das erste Schiff hatte die windschnittige Form eines Hais und war wohl für Atmosphäreflüge gebaut. Silberne Figuren – Harpyien und Nereiden – zierten den schwarzen, lichtschluckenden Rumpf. Ich erkannte es sofort wieder: Dieses Shuttle hatte mich nach unserer Rettung von der Orbitalstation der Weltraumbrücke von Nueva Valparaiso zur Orvieto gebracht. Nun war es über eine transparente Nabelschnur mit Idlewild verbunden, durch die langsam aber stetig von peristaltischen Kompressionswellen ein Strom von Schläfern befördert wurde, die noch tiefgekühlt in ihren Kälteschlaftanks lagen. Man fühlte sich unangenehm an den Vorgang des Eierlegens erinnert.
    »Sie sind immer noch nicht mit dem Ausladen fertig?«, fragte ich.
    »Im Frachtraum müssen noch die letzten Schläferzellen geräumt werden, dann ist es vorbei«, antwortete der erste Eisbettler.
    »Muss doch deprimierend sein, so viele Matschraupen durchkommen zu sehen.«
    »Wieso denn?«, fragte der zweite Mönch ohne große Begeisterung. »Was immer geschieht, es ist alles Gottes Wille.«
    Das zweite große Schiff, auf das unser Fahrstuhl zusteuerte, sah ganz anders aus als das Shuttle. Auf den ersten Blick wirkte es wie ein Haufen Weltraummüll, der sich zu einem Gemeinschaftsflug zusammengefunden hatte. Die Mühle drohte schon in stationärem Zustand jeden Moment auseinander zu fallen, dass sie auch noch fliegen sollte, war unvorstellbar.
    »In das Ding soll ich einsteigen?«
    »Das ist die gute alte Strelnikov«, sagte der erste Eisbettler. »Nur Mut. Sie ist längst nicht so gefährlich, wie sie aussieht.«
    »Oder ist sie sehr viel gefährlicher, als sie aussieht?«, fragte der zweite. »Ich vergesse das immer wieder, Bruder.«
    »Ich auch. Aber ich kann mich ja mal erkundigen.«
    Er fasste mit der Hand unter seine Kutte. Ich weiß nicht, was ich erwartet hatte, jedenfalls nicht den hölzernen Totschläger, den er herauszog. Das Ding sah aus wie aus dem Griff einer Gartenschaufel gemacht. Am schmalen Ende hatte es einen Lederriemen und auf der anderen Seite etliche verräterische Kratzer und Flecken. Der zweite Eisbettler hielt mich von hinten fest, während mir sein Freund zum Andenken ein paar blaue Flecken mit auf den Weg gab, wobei er sich vor allem auf mein Gesicht konzentrierte. Viel Widerstand konnte ich nicht leisten – sie waren besser an die Schwerelosigkeit gewöhnt als ich, außerdem waren sie eher wie Ringer gebaut als wie Mönche. Ich kam wohl ohne Knochenbrüche davon, aber als der

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