Chasm City
sie hätten nicht das Geringste damit zu tun.
»Viel Glück, Mister Mirabel.« Der Eisbettler mit dem Totschläger winkte mir fröhlich nach.
»Vielen Dank. Ich schicke Ihnen eine Ansichtskarte. Vielleicht komme ich auch mal zurück und erzähle Ihnen, wie es mir ergangen ist.«
»Das wäre nett.«
Ich spuckte ein letztes Blutkügelchen aus. »Aber ich will nichts versprechen.«
Vor mir wurden schon etliche Einwanderungswillige an Bord befördert, die in unbekannten Sprachen verschlafen vor sich hin brabbelten. Drinnen wurden wir durch ein verwirrendes Labyrinth von schmalen Kriechgängen zu einem irgendwo in den Tiefen der Strelnikov gelegenen Zentrum gelotst. Dort wies man uns unsere Kabinen für den Flug zum Glitzerband zu.
Als ich endlich meine Kabine erreichte, fühlte ich mich so müde und zerschlagen wie ein Tier, das als zweiter Sieger aus einem Kampf hervorgegangen war und nun in seine Höhle kroch, um sich die Wunden zu lecken. Ich wollte nichts mehr hören und sehen. Die Kabine war nicht blitzsauber, aber auch nicht wirklich schmutzig, die Wahrheit lag irgendwo in der Mitte zwischen vergilbt und schmierig. Die Strelnikov erzeugte keine künstliche Schwerkraft – wofür ich dankbar war; für eine Dauerrotation wäre sie ebenso wenig geeignet gewesen wie für eine allzu starke Beschleunigung –, deshalb war die Kabine mit einer Null-G-Koje ausgestattet, auch diverses Zubehör zur Nahrungsaufnahme und für Hygienebedürfnisse war auf die Schwerelosigkeit abgestimmt. Das Terminal mit Zugang zum allgemeinen Netz sah aus wie ein liebevoll konserviertes Ausstellungsstück aus einem Cybernetikmuseum, und auf allen freien Flächen klebten fleckige und verblasste Hinweisbotschaften, die mir erklärten, was hier erlaubt und verboten war und wie man das Schiff im Falle einer Katastrophe schnellstmöglich verlassen konnte. In regelmäßigen Abständen meldete eine Stimme mit starkem Akzent aus dem Lautsprecher, der Abflug verzögere sich, doch irgendwann erklärte sie, wir hätten nun Idlewild verlassen, der Antrieb sei zugeschaltet, und wir befänden uns auf dem Weg nach unten. Das Shuttle war so weich gestartet, dass ich nichts davon bemerkt hatte.
Ich holte mir die letzten Zahnfragmente aus dem Mund und erkundete vorsichtig die Grenzen der schmerzhaften Blutergüsse, die mir die Eisbettler zur Erinnerung verpasst hatten. Darüber schlief ich schließlich ein.
Zehn
An dem Tag, als der Passagier erwachte – dem Tag, der alles veränderte –, fuhr Sky mit seinen beiden engsten Vertrauten auf einem Wartungszug in einem der engen Tunnel, die das Schiff vom Bug bis zum Heck durchzogen, durch die Säule der Santiago. Der Zug polterte schwerfällig mit wenigen Stundenkilometern dahin und hielt immer wieder an, wenn die Besatzung Material ablud, oder wenn er warten musste, bis ein anderer Zug den nächsten Tunnelabschnitt freigemacht hatte. Skys Begleiter vertrieben sich die Zeit wie üblich mit tollen Geschichten. Sky spielte den Advocatus Diaboli. Er amüsierte sich nicht so gut wie die anderen, war aber nur zu gern bereit, ihnen bei erster Gelegenheit den Spaß zu verderben.
»Viglietti hat mir gestern etwas erzählt«, sagte Norquinco so laut, dass er den Lärm des Zuges übertönte. »Angeblich glaubt er selbst nicht daran, aber er kennt Leute, die davon überzeugt sind. Eigentlich geht es um die Flottille.«
»Wir sind gespannt«, sagte Sky.
»Einfache Frage: Wie viele Schiffe gab es ursprünglich, bevor die Islamabad hochging?«
»Fünf natürlich«, sagte Gomez.
»Aha. Und wenn das nun gar nicht stimmt? Wenn es nun ursprünglich sechs gewesen wären? Eines ist explodiert – das wissen wir –, aber wenn das andere nun noch irgendwo da draußen wäre?«
»Hätten wir es dann nicht sehen müssen?«
»Nicht, wenn es tot ist; nur ein leeres Spukschiff, das hinter uns her fliegt.«
»Sehr praktisch«, sagte Sky. »Das Ding hat nicht zufällig auch noch einen Namen?«
»Wenn du so fragst…«
»Ich wusste es doch.«
»Sie sagen, es heißt Caleuche.«
Sky seufzte. Es sollte also wieder einmal eine von diesen Fahrten werden. Früher einmal – vor vielen Jahren – war das Bahnnetz des Schiffes für die drei ein Ort gewesen, wo man sich vergnügen und unter kontrollierten Bedingungen die tollsten Abenteuer erleben konnte; Schauplatz von riskanten Spielen und Scheinkämpfen, Gespenstergeschichten und Wortgefechten. Von den Hauptrouten zweigten stillgelegte Seitengänge ab, die Gerüchten zufolge zu
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