Chasm City
gehalten, sich an so jemandem die Finger schmutzig zu machen. Aber vor den Ultras durfte er sich keine Blöße geben. Hier musste er den großen Jäger spielen.
Hinterher, als alles vorüber war – der Überfall auf Reivich gescheitert, Gitta tot und Cahuella mit ihr, Dieterling und ich verletzt – da zeigte sich eines überdeutlich.
Es war meine Schuld.
Meine Unfähigkeit war es, die Gitta das Leben gekostet hatte. Und Cahuella mit ihr. Die beiden Todesfälle hingen aufs Grausigste zusammen. Und Reivich hatte als strahlender Sieger dagestanden, unverletzt, an den Händen das Blut der Frau, deren Mann er Rache geschworen hatte. Er war wohl davon ausgegangen, dass auch Cahuella überleben würde – seine Wunden hatten sicher nicht so bedrohlich ausgesehen wie die meinen. Hätte Cahuella überlebt, dann hätte ihn Reivich so lange wie möglich und so grausam wie möglich gequält; eine viel größere Genugtuung, als ihn einfach zu töten. Wäre es nach Reivich gegangen, dann hätte Cahuella für den Rest seines Lebens um Gitta trauern müssen. Der Schmerz wäre unsagbar groß gewesen. Ich glaube, sie war das einzige Wesen im ganzen Universum, das er hatte lieben können.
Stattdessen hatte Reivich sie mir geraubt.
Ich erinnerte mich, wie Cahuella über Reivichs Racheschwur gelacht hatte. Der edle Ritter war von jeher in Gefahr, zur lächerlichen Figur zu werden. Aber ich hatte genau das Gleiche getan: ich hatte gelobt, für den Rest meines Lebens nicht zu ruhen, bis Reivich tot und Gitta gerächt wäre. Hätte mir damals jemand gesagt, ich müsste erst selbst sterben, bevor ich Reivich töten könnte, ich hätte mich wohl auch damit stillschweigend abgefunden.
In Nueva Valparaiso war er mir durch die Finger geschlüpft. Er hatte mich gezwungen, eine gewichtige Entscheidung zu treffen – wollte ich aufgeben, oder wollte ich Reivich auch über die Grenzen des Systems hinaus verfolgen?
Im Rückblick betrachtet war mir die Wahl gar nicht so schwer gefallen. »So weit ich mich erinnere, hatte Mister Reivich keine größeren Probleme«, sagte Amelia. »Er hatte eine temporäre Amnesie, aber sie war nicht so ausgeprägt wie bei Ihnen – sie dauerte nur ein paar Stunden, dann hatte er die Teile wieder zusammengesetzt. Duscha wollte, dass er noch blieb, damit sie sich um seine Implantate kümmern konnte, aber er hatte es mit der Abreise ziemlich eilig.«
»Tatsächlich?«, fragte ich und legte möglichst viel Überraschung in meine Stimme.
»Ja. Gott allein weiß, womit wir ihn gekränkt haben.«
»Es lag sicher nicht an Ihnen.« Ich hätte gern gewusst, was mit seinen Implantaten wohl nicht in Ordnung gewesen sein könnte, beschloss aber, die Frage zunächst zurückzustellen. »Dann kann man wahrscheinlich davon ausgehen, dass er bereits auf Yellowstone eingetroffen ist oder bald eintreffen wird. Ich möchte ihm keinen allzu großen Vorsprung lassen. Es geht doch nicht an, dass er sich ganz allein amüsiert, nicht wahr?«
Sie sah mich prüfend an. »Sie waren mit ihm befreundet, Tanner?«
»Sozusagen.«
»Eine Reisebekanntschaft vielleicht?«
»Das wäre wohl die richtige Bezeichnung.«
»Ich verstehe.« Ihr Gesicht blieb unverändert freundlich, aber ich konnte mir vorstellen, was hinter ihrer Stirn vorging: Reivich hatte kein Wort von einer Reisebekanntschaft erwähnt, wenn also überhaupt so etwas wie Freundschaft bestanden haben sollte, dann musste sie ziemlich einseitig gewesen sein.
»Eigentlich hatte ich gehofft, er würde auf mich warten.«
»Wahrscheinlich wollte er die Station nicht mit jemandem belasten, der keine Pflege brauchte. Oder es waren doch noch Gedächtnislücken vorhanden. Natürlich können wir versuchen, ihn zu erreichen. Das wird nicht einfach sein, aber wir sind bemüht, die Personen, die wir reanimieren, möglichst weiter im Auge zu behalten – falls es nachträglich zu Komplikationen kommt.«
Und, dachte ich, weil sich der eine oder andere – nicht zuletzt mit dem Hintergedanken, über den Eisbettelorden Einfluss auf Neuankömmlinge zu gewinnen – für die auf Idlewild genossene Gastfreundschaft erkenntlich zeigt, wenn er erst behaglich und sicher auf Yellowstone sitzt.
Laut sagte ich nur: »Nein danke, sehr freundlich, aber das ist wirklich nicht nötig. Es ist sicher besser, wenn ich ihm persönlich nachreise.«
Sie sah mich nachdenklich an. »Dann brauchen Sie sicher seine Adresse auf der Oberfläche.«
Ich nickte. »Ich kann natürlich verstehen, dass die
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