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Chasm City

Chasm City

Titel: Chasm City Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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sie nicht alle so wie Bruder Alexei.«
    »Einen faulen Apfel gibt es in jeder Kiste.«
    »Ich weiß. Eigentlich dürfte ich das gar nicht sagen – aber seit Sie mir beigebracht haben, mich zur Wehr zu setzen, wünsche ich mir fast, dass Alexei es noch einmal probiert.«
    Ich konnte mir vorstellen, wie ihr zumute gewesen sein musste. »Ich glaube zwar nicht, dass er sich das traut, aber wenn, dann möchte ich nicht in seinen Schuhen stecken.«
    »Keine Sorge, ich werde ihn mit Samthandschuhen anfassen.«
    Wir waren beide verlegen geworden. Schweigend stiegen wir den letzten Abhang hinauf. Das Ende des Kegels lag vor uns. Ich war nur noch etwa ein Zehntel so schwer wie in der Hütte, aber noch konnte ich gehen – ich hatte nur das Gefühl, als weiche bei jedem Schritt der Boden zurück. Vor mir, diskret verdeckt von einigen Bäumen, die bei der niedrigen Schwerkraft aufs Geratewohl nach allen Himmelsrichtungen wuchsen, sah ich eine gepanzerte Tür.
    »Sie wollen wirklich unbedingt fort, nicht wahr?«, fragte Amelia.
    »Je eher ich nach Chasm City komme, desto besser.«
    »Es wird nicht alles so sein, wie Sie erwarten, Tanner. Ich wünschte, Sie würden noch ein wenig länger bleiben, damit wir Sie wieder auf Touren bringen…«
    Sie verstummte. Offenbar hatte sie eingesehen, dass ich nicht zu überzeugen war.
    »Machen Sie sich meinethalben keine Sorgen; ich suche mir meine Vergangenheit schon wieder zusammen.« Ich lächelte sie an, doch innerlich hasste ich mich dafür, dass ich sie so schamlos belogen hatte. Aber es gab keine andere Möglichkeit. »Sie waren sehr freundlich zu mir, Amelia, ich danke Ihnen.«
    »Es war mir ein Vergnügen, Tanner.«
    »Wissen Sie…«Ich sah mich um, ob jemand uns beobachtete, aber wir waren allein. »Ich möchte Ihnen gern ein Geschenk machen.« Ich griff in meine Hosentasche und zog die aufziehbare Pistole heraus, die ich inzwischen vollends zusammengesetzt hatte. »Sie fragen besser nicht, warum ich sie bei mir hatte, Amelia. Jedenfalls glaube ich nicht, dass sie mir noch viel nützen kann.«
    »Das darf ich wirklich nicht annehmen, Tanner.«
    Ich drückte ihr die Waffe in die Hand. »Dann müssen Sie sie eben beschlagnahmen.«
    »Das wäre wohl angebracht. Funktioniert sie?«
    Ich nickte. Weitere Erklärungen waren überflüssig. »Sie könnte Ihnen sehr nützlich sein, falls Sie jemals wirklich in Schwierigkeiten kommen sollten.«
    Sie steckte die Waffe ein. »Ich habe sie nur beschlagnahmt.«
    »Ich verstehe.«
    Sie reichte mir die Hand. »Gott sei mit Ihnen, Tanner. Hoffentlich finden Sie Ihren Freund.«
    Ich wandte mich ab, bevor sie mein Gesicht sehen konnte.

Neun
    Ich trat durch die gepanzerte Tür.
    Dahinter lag ein Korridor mit blanken Stahlwänden, der jeden etwa noch vorhandenen Eindruck, Idlewild sei ein natürlicher Ort und kein von Menschenhand geschaffener Rotationskörper im Vakuum, sofort auslöschte. An Stelle von rauschenden Miniatur-Wasserfällen hörte man das Surren von Luftumwälzern und Stromgeneratoren. In der Luft hing ein medizinischer Geruch, der einen Augenblick zuvor noch nicht da gewesen war.
    »Mister Mirabel? Wir hörten, dass Sie uns verlassen wollen. Hier entlang, bitte.«
    Zwei Eisbettler nahmen mich in Empfang. Der erste winkte mir, ihm durch den Korridor zu folgen. Federnden Schrittes gingen wir weiter. Am Ende befand sich ein Fahrstuhl, der uns zunächst ein kurzes Stück senkrecht nach oben zur wirklichen Rotationsachse von Idlewild brachte. Dann folgte eine weitaus längere Fahrt zum wahren Endpunkt des ausrangierten Schiffsrumpfs, der diese Hälfte der Station bildete. Die Fahrt verlief schweigend. Ich hatte nichts dagegen. Vermutlich hatten die Eisbettler längst alle denkbaren Gesprächsthemen mit den Reanimierten erschöpft; welche Frage sie mir auch stellten, sie hätten die Antwort schon hundert Mal gehört. Aber angenommen, sie hätten mich nach meinen Plänen gefragt, und ich hätte ihnen eine ehrliche Auskunft gegeben?
    ›Meine Pläne? Als Nächstes steht bei mir ein Mord auf dem Programm.‹
    Ich hätte es versuchen sollen, nur um ihre Gesichter zu sehen.
    Aber wahrscheinlich hätten sie mich nur für einen von den Klienten gehalten, die unter Wahnvorstellungen litten und das Hospiz zu früh verließen.
    Bald glitt der Fahrstuhl durch eine gläserne Röhre an der Außenseite von Idlewild. Hier war die Schwerkraft so gut wie aufgehoben, deshalb mussten wir uns mit Händen und Füßen an gepolsterten Griffen verankern, die in die

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