Cheffe versenken (German Edition)
fließen. Komm schon, du bist doch eine Sportskanone, und wach bist du jetzt sowieso.«
»Poah, also ehrlich gesagt –«
Ich merkte, dass es sich so früh morgens deutlich schlechter nach glaubwürdigen Ausreden suchen ließ als beispielsweise nachmittags oder abends oder in der Nacht oder …
»Was ist jetzt? Wir treffen uns um sieben im Stadtpark am Eingang des Botanischen Gartens, und danach fahren wir fit und konzentriert zur Arbeit.«
»Von mir aus.«
Widerstand schien zwecklos, außerdem war mir seit gestern Abend sowieso alles egal. Da konnte Edith gern noch einen draufsetzen.
Auf dem Weg ins Bad traf ich Rahel. Weltschmerz und fast mütterliche Gefühle streckten ihre wehmütigen Fühler nach mir aus.
»Na, geht’s dir heute besser?«, fragte sie besorgt.
Sie war so ein süßer, unschuldiger Schatz. Ich konnte mir gar nicht vorstellen, ohne sie und ihre pubertären Launen zu leben.
»Hm.«
»Ich habe dir schon Brote geschmiert und zwei Äpfel geschält. Damit solltest du den heutigen Arbeitstag schaffen.«
Sie grinste müde und verschmitzt.
»Liegt alles in der Küche. Dazu habe ich noch etwas Traubenzucker und eine Milchschnitte gelegt. Morgen ist Samstag, da kannst du schön ausschlafen und dein Wochenende genießen.«
»Du bist klasse, Rahel«, sagte ich traurig. Wie sollte ich nur ohne sie auskommen – und vor allem: wo?
»Mach ich alles nur, damit ich dir nicht noch mal Nudeln kochen muss, was glaubst du denn?«
Ich nahm sie in den Arm und drückte sie fest an mich. Das hatte ich nicht mehr getan, seit der fiese Nachbarsjunge Anselm sie gezwungen hatte, ein altes Kaugummi vom Asphalt zu kratzen und sich in den Mund zu stecken. Da war sie sieben gewesen und hatte Anselm anschließend den Kaugummi so schnell und kräftig auf seinen Scheitel geschmiert, dass ein sportlicher Glatzenschnitt notwendig war, um den Klebebelag restlos zu entfernen. Ich war so stolz auf dieses kleine gewitzte Mädchen, dass ich ihr gleich eine Packung Kaugummi gekauft hatte.
Jetzt war sie immer noch gewitzt, nur ein paar Nummern größer.
»Ey, Trixi. Da fällt mir noch was ein.«
Mit einem Schlag in meinen Bauch löste sich Rahel aus meiner Umarmung.
»Wie sanft und anmutig von dir«, hüstelte ich. »Was denn?«
»Ich habe gestern Abend ein bisschen im Internet recherchiert.«
War sie altklug oder gehörte »recherchieren« zum alltäglichen Wortschatz einer 14-Jährigen?
»Dieser tote Pressefuzzi, von dem du erzählt hast.«
»Meinst du Paul Wiltmann aus dem Verlag?«
»Ja, der. Also ich habe mal den offiziellen Polizeibericht studiert.«
»Moment mal, den Polizeibericht? Auf welchen Seiten treibst du dich denn herum?«
»Ist doch egal. Du meintest doch, der wäre so ein Pillenschmeißer gewesen.«
Pillenschmeißer? Nur weiter so, junge Frau.
»Ja und?«
»Ja nix! Der hatte weder was getrunken noch irgendwelche Drogen im Blut. Völlig clean der Typ. Das hat die Obduktion ergeben.«
»Obduktion, alles klar! Und was heißt das? Dass Wiltmann mit vollem Bewusstsein auf den Schienen stand, nachdem sein Motor durch den Zucker verreckt ist?«
»Keine Ahnung. Ich dachte nur, das könnte dich interessieren. Wäre doch ein spannendes Kapitel in der Bellersen-Chronik.«
Jetzt kicherte sie wie eine typische 14-Jährige.
»Das Einzige, das man in ihm gefunden hat, waren die Kopfhörer seines iPods in seinen Ohren. Florence meinte, dass Wiltmann den Zug vielleicht gar nicht hat kommen hören. Wir wissen nicht, warum er nicht ausgestiegen ist, aber das kriegen wir raus. Genau wie die anderen Todesfälle.«
»Die anderen Todesfälle? Florence und du? Hör mal, Rahel, verleg deinen Arbeitseifer doch lieber auf die Schule«, ermahnte ich sie.
»Hättste wohl gern«, winkte Rahel und drängte sich vor mir ins Bad.
Mit ihrem knallroten Trainingsanzug und ihren weißen Schühchen leuchtete Edith wie ein Fliegenpilz im Wald. Mit dem einzigen Unterschied, dass ein Fliegenpilz keinen Hampelmann hopsen kann.
Als sie mich erblickte, winkte sie aufgedreht und kreischte durch den noch friedlich schlummernden Park. Jetzt waren auch die letzten Eichhörnchen wach.
»Triiixiii, hier bin ich.«
»Wie wär’s mit guten Morgen?«, flüsterte ich eindringlich.
»Ich habe schon ein schönes Plätzchen gefunden.« Sie zeigte auf eine sonnenbeschienene Lichtung, direkt am See. Die Wiese war tatsächlich ideal für ein paar morgendliche Übungen. Völlig unpassend zu ihrem Pilzkostüm und dem verträumten Morgen funkelten
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