Cheffe versenken (German Edition)
ich fast die Besinnung. Der laue Abendwind zog über uns hinweg, und ich vergaß meine Pläne von Wapelsternen und langsamer Radelei.
Ein durchdringendes Hupen riss uns aus unserer zwischensportlichen Ekstase. Es gehörte zu einem Mähdrescher, der direkt auf uns zufuhr.
Alan sprang auf und stellte sich dem Blechmonster mit seinem nackten Körper in den Weg. Der Fahrer bremste, wich aus und übersah Alans Rad, das im hohen Gras lag. Mit einem gedämpften Knirschen und Knacken kam der Mähdrescher zum Stehen.
»Habt ihr kein Zuhause?«, schrie der Fahrer aus seinem Führerhaus. »Perverse Jugend«, schimpfte er weiter, setzte sein Gefährt zurück und fuhr über den Feldrand an uns vorbei.
Ich saß total benommen im Gras und presste verschämt Alans Trikot an meine Brust. Hilfsbereit hielt ich ihm seine Hose hin, doch Alan stand wie angewurzelt vor den Überresten seines Rades.
»Scheiße!«
Eine Stunde später waren alle vor unserem Haus versammelt. Ich hatte Florence um Hilfe gebeten. Sie war mit ihrem Jaguar zum Feldweg gekommen und hatte die Rennradruine und mich eingeladen. Alan radelte auf dem Zweitrad zurück. So verschwitzt wie er bei uns eintraf, hatte er einen Wutspurt hingelegt.
Florence, Gerd und Rahel rätselten, wie das hatte passieren können.
»Der Bauer hat euch nicht gesehen – das ist schon klar«, hakte Rahel neugierig nach. »Aber warum habt ihr den Mähdrescher nicht bemerkt?«
Alan und ich warfen uns einen verstohlenen Blick zu, und ein neuer wohliger Schauer überrollte mich. Die Wahrheit war wirklich noch nichts für Rahel.
Alan versuchte, die Situation zu retten. Glaubwürdigkeit ging allerdings anders.
»Wir haben uns verfahren, sind abgestiegen und zu Fuß dem Feldweg gefolgt. Wir konnten den Mähdrescher gar nicht hören.«
Florence und Gerd lächelten sich an und luden uns zum Essen ein.
Zuerst duschte Alan. Ich tat es ihm gleich, wartete jedoch züchtig, bis er fertig war. Immerhin war Rahel in der Nähe, und ich war mir sicher, wenn Alan und ich allein gewesen wären, hätten wir unter der Dusche fortgesetzt, was wir auf der Wiese angefangen hatten.
Betty und Parasiten-Sybille saßen im Wohnzimmer und machten sich einen gemütlichen DVD-Abend. Ohne sie eines Blickes zu würdigen, marschierten wir nach unten.
Eine große Portion Bratkartoffeln wartete auf uns.
Während des Essens erzählte ich den anderen von meinen neuesten Erkenntnissen. Rahel holte sich einen Block und begann, alles zu protokollieren.
»Verstehe ich das richtig? Bernold Bellersen ist bei der Polizei bereits aktenkundig?«
Ihre Ausdrucksweise überraschte mich schon wieder. Aktenkundig. Vielleicht sollte Rahel die Schule abbrechen und sofort studieren. War ich mit 14 auch so schlau gewesen?
»Simon sprach davon. Alan, hast du eine Ahnung, was da vorgefallen ist?«
Alan nahm einen großen Schluck Wasser. Dann blickte er lächelnd in die Runde.
»Ich bin schwer beeindruckt, wofür ihr euch so interessiert. Seid ihr eine Detektiv-Hausgemeinschaft? Wenn ihr es unbedingt wissen wollt: Bellersens Ausrutscher ist im Verlag sowieso ein offenes Geheimnis. Niemand darf darüber sprechen, aber alle wissen es. Der Vorfall ist schon einige Jahre her. Er hat in einem Bielefelder Hotel angeblich seine damalige Geliebte verprügelt.«
Hotel? Bielefeld? Ich schaute zu Gerd, und er nickte mir lächelnd zu.
»Warum hast du nichts gesagt? Du hast letzte Woche doch schon eine Andeutung in diese Richtung gemacht?«
»Wenn ich dir von dem Vorfall erzählt hätte, wärst du vielleicht gar nicht erst zum Bewerbungsgespräch gegangen. Ich fand, du solltest dir ein eigenes Bild von Big Ben machen.«
»Big Ben?«
»Das war Bernolds Spitzname bei uns im Hotel. Er traf sich dort gelegentlich mit seinen Freundinnen und benahm sich – wie soll ich sagen – alles andere als zurückhaltend.«
»Bellersen ist eine Kotzbrocken! Das ’ast du wortwörtlisch gesagt«, unterbrach Florence ihren Mann. Gerd nickte und nahm einen Nachschlag Kartoffeln.
»So kann man es auch ausdrücken«, pflichtete Alan ihm bei. »Ich werde aus ihm nicht schlau. Heute Nachmittag war im Verlag der Teufel los. Keine Ahnung, was Bellersen geritten hat. Sei froh, Trixi, dass du nicht im Büro warst.«
»Was gab es denn?«, mischte sich Rahel ein.
»Zuerst bekam Edith so eine Art Nervenzusammenbruch. Bellersen hat ihre Hamburg-Texte vor der versammelten Redaktion auseinandergenommen. Sie ist dann keifend rausgelaufen und faselte etwas von
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