Cheffe versenken (German Edition)
Schlimmes passieren konnte, und wollte einfach ein bisschen Aufmerksamkeit oder Mitleid. Und dich von mir fernhalten.«
Mit dieser Frau hatte ich jahrelang Sport getrieben und einige Tage das Büro geteilt. Mir stockte der Atem, und Alan erzählte weiter.
»Völlig durchgeknallt, die Alte. Ich will gar nicht drüber nachdenken. Als wir in dieser Ruine ankamen und sie meinte, das sei ihre Ferienwohnung, fragte ich sie, ob sie noch alle beisammen hätte. Ich konnte doch nicht ahnen, dass sie gleich eine Knarre zieht. Seitdem hänge ich hier unten.«
»Und ich war sauer auf dich, weil du dich nicht bei mir gemeldet hast«, sagte ich schuldbewusst und lehnte mich an seine Schulter. Sein warmer Körper lenkte mich von meinen Schmerzen ab.
Gemeinsam überlegten wir, wie wir diesem schwarzen Verlies entkommen konnten. Vorsichtig standen wir auf und schlichen rückwärts bis zur Tür. Mein Handgelenk schmerzte so sehr, dass ich heulte. Wir stemmten uns gleichzeitig und mit voller Wucht gegen die Metalltür, doch nichts passierte. Ich konnte einfach nicht akzeptieren, dass wir in dieser Gruft unser Ende finden sollten.
»Die müssen uns doch längst suchen«, sagte ich verzweifelt.
»Wer sind die ?«
»Florence und Ingetraut.«
Mir wurde bewusst, dass Florence und Ingetraut keine Ahnung von meinem abendlichen Ausflug hatten. In der Nacht würde uns niemand suchen, und wenn die beiden mein Verschwinden am Morgen bemerkten, war es vielleicht schon zu spät. Ich malte mir aus, wie die Bagger die Falltür verschütten würden. Mir wurde kalt, und ich schluchzte laut auf.
»Warum habe ich Ediths Wahn nicht bemerkt?«, fragte ich mich selbst. Ich war nicht nur traurig, sondern auch maßlos wütend auf meine Naivität.
»Wer traut diesem Persönchen so viel Kaltblütigkeit zu?«, antwortete Alan. »Ich jedenfalls nicht. Und ich kenne viele Frauen. Vier Tote gehen auf ihr Konto, Edith ist sich keiner Schuld bewusst und arbeitet seelenruhig weiter – all die Jahre.«
Beim Stichwort »Tote« fiel mir Paul Wiltmann ein.
»Hat sie Paul auch auf dem Gewissen?«
»Pauls Tod war ein Versehen. Als sie mich gestern hier einkerkerte, erzählte sie mir, wie sehr sie ihn bewunderte. Er war so jung und schlau und fleißig – wie sie damals. Nur das mit dem Kokain und den schnellen Autos fand sie verwerflich. Dafür wollte sie ihm einen Denkzettel verpassen. Edith wusste, dass Paul jeden Donnerstag ins Backstone ging. Oft ließ er seinen Porsche auf dem Verlagsparkplatz stehen und den Schlüssel auf seinem Schreibtisch liegen. Wenn er zurückkam und nichts getrunken hatte, arbeitete er noch ein oder zwei Stunden und fuhr dann heim. Dieses eine Mal mit einer Ladung Zucker im Tank. Dass der Motor auf den Schienen verreckte, stand nicht in ihrem Plan. Paul hatte einfach Pech. Wegen der Kopfhörer musste Paul den Zug tatsächlich überhört haben.«
Jetzt glaubte ich, auch Alan weinen zu hören. Ich musste pinkeln.
Wettlauf
Ein tiefes Brummen schreckte uns auf. Der Boden vibrierte. Wir hatten die ganze Nacht versucht, uns aufzumuntern und von den Schmerzen abzulenken. Alan schmiegte sich dabei ganz eng an mich und sang mir etwas vor. Ohne ein Gefühl für die Zeit waren wir irgendwann eingenickt.
Das Wummern wurde lauter.
»Sind das die Bagger?«, fragte ich Alan.
»Scheiße!«
Wir rafften uns auf und hämmerten mit unseren Füßen vor die Tür. Alan grölte so laut er konnte, ich kreischte in einer Frequenz, die den Spiegelsaal von Versailles zerlegt hätte. Kurze Zeit später verstummte das Motorengeräusch. Es war still. Alan schrie erneut. Meine Stimme versagte, und ich begann, tonlos zu weinen, während ich mit meinen Füßen an die Metalltür trommelte. Niemand außer der verrückten Edith wusste, wo wir waren.
Ein dumpfes Klopfen – dann rumste es, und jemand schob den Riegel zur Seite.
Der gleißende Lichtstrahl durchschoss den Kellerraum. Alan und ich kniffen die Augen zusammen.
»Sind sie das?«, rief eine tiefe Männerstimme. Ich erkannte die Umrisse einer Bauarbeitermontur.
»Was glaubst du denn, Bernd? Meinst du, hier unten wohnen die Heinzelmännchen, oder was? Lass mich mal durch.«
Diese Stimme kannte ich. Die resolute Ingetraut kletterte die Leiter hinunter und schob sich an dem Mann vorbei. Als sie mich in ihre warmen Arme schloss, weinte ich vor Erleichterung noch heftiger.
»Da haben Sie aber bannig Glück gehabt«, sagte der Bauarbeiter grinsend. »Eine Viertelstunde später hätten wir Sie hier unten
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