Chemie der Tränen
haarig wie die von einem Hund. Wie ich damit nur leben könne, wollte sie wissen.
Allein in der Hitze des Gefechts machte ich ihr Vorwürfe wegen ihrer beachtlichen Brüste, diesen falschen Versprechungen, die Percys hungriger Mund nie berühren durfte.
Während ich in Furtwangen schlief, träumte ich, wach zu sein. In einem goldenen Reich kam ich zu mir, Morgendämmerung, die Dielen, der Lichteinfall. Dabei war der Morgen hier längst kein derartiges Schauspiel wie im geweißten Zimmer meines wahren Freundes in Low Hall, das die schlichte, ehrliche irische Amme bald mit einer Tasse Fleischbrühe betreten würde. Dann hockten sie zusammen auf dem Bett, und warteten darauf, dass der gute, alte George Binns die Post durchs Gartentor brachte.
Oje, ich war hungrig wie ein Becken Säure, doch musste Percy genau wissen, wo ich mich befand. Ich suchte meinen Stift und schrieb einen Brief in Form von Reiseanweisungen zu meinem gegenwärtigen Aufenthaltsort. Falls er diesen Instruktionen folgte, konnte er Furtwangen auf der Karte finden und wusste dann genau, wo die Ente hergestellt wurde, für ihn allein. Kein anderes Kind in England würde derlei besitzen, kein Kind auf der ganzen Welt. Ich versprach, die Herstellung in allen Einzelheiten zu beschreiben, damit er sich einbilden konnte, an meiner Seite zu sein oder wie ein kluger Vogel im Dachgebälk zu hocken und hinab auf die dort vollbrachten Wunder zu schauen.
Dann adressierte ich den Umschlag an den guten, alten Binns. Ohne einen Gastwirt, dem ich meine Post anvertrauen konnte, musste ich nun herausfinden, wie man in Deutschland Briefe versandte.
So begann mein erster Tag in Furtwangen.
Kein Nachttopf, also folgte ich Adams Ruf, dann wusch ich mich im Bach und wurde dabei von einem mürrischen Arbeiter der Sägemühle beobachtet. Ich hatte bereits daran gedacht, einem Bauern Trinkgeld auszuhändigen, damit er meinen Brief aufgab, aber nein, dem nicht.
Zum Frühstück gab es nichts als einige wenige bittere Erdbeeren, die den Hunger bloß noch schlimmer machten. Außer dem Hugenotten, der schreibend am Fenster saß, war niemand zu sehen.
Ich fragte, wann das Frühstück serviert werden würde.
»Sir«, antwortete er. »Man gewöhnt sich dran.«
Er fuhr mit seiner Kritzelei fort.
»Sie fragen sich bestimmt, was ich hier tue, nicht wahr?«
Hatte ich nicht.
»Ich sammle Märchen«, fuhr er fort.
Wie ungewöhnlich, dachte ich, nun habe ich einen Märchensammler kennengelernt. Was wird wohl als Nächstes geschehen?
Ich machte mich auf, das Dorf Furtwangen zu suchen, wo ich meinen Brief aufgeben wollte. Schrecklicher Morgen. Nicht nötig, all die zugefügte Schmach zu beschreiben. Ausländer sind hier offensichtlich unbeliebt. Ein Junge warf mit einem Stein nach mir. Und selbst der Priester verstand nicht, was ich mit meinem eiligen Brief wollte. Als man mich schließlich genötigt hatte, Einheimischen auf dem Bürgersteig den Vortritt zu lassen, ich einen ausgefahrenen Weg entlanggelaufen und dann einer Straße gefolgt war, musste ich zugeben, mich hoffnungslos verirrt zu haben. Ich brauchte den ganzen Nachmittag, um die Sägemühle wiederzufinden, und als es endlich so weit war, quälte mich ein erbärmlicher, peinigender Hunger. Mein Bauch war straff wie eine gespannte Trommel, bis obenhin mit schwappendem Flusswasser gefüllt.
Es war spät am Nachmittag, über dem Herd hing nur ein Kessel mit kochendem Wasser. Ich würde durchhalten, aber was war mit Percy? Wie lange konnte ein kleiner Junge warten?
Carl kam zu gegebener Zeit. Er fasste mich am Ärmel, ein kleiner Beweis seiner Freundlichkeit, für den ich dankbar war. Zum Abendessen gab es das Gleiche wie tags zuvor. Was hätte ich an diesem Tag nur für meine alte Internatskost gegeben, über die ich früher so gelästert hatte – Bratwürste im Eierteig, gedünstete Rote Bete, Bratbrot, Sagopudding. Längst war ich so hungrig, dass ich Maden hätte verschlingen können und noch um einen Nachschlag gebeten hätte. Meine Gastgeber schauten auf ihre Teller, und ich wusste, mein Benehmen war ihnen peinlich, aber ich kochte vor Wut und musterte einen nach dem anderen, forderte sie heraus, meinen Blick zu erwidern.
Schließlich gaben sie klein bei, und als Sumper sich anschloss, langte ich nach seinem Teller, kratzte ihn leer und nahm mir auch noch das letzte bisschen Käsesoße.
Dann trat ich hinaus in die Dunkelheit, mein Gedärm in Aufruhr.
Ich legte mich auf den feuchten Pfad und hörte meinen
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