Chemie der Tränen

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Autoren: Peter Carey

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Gastgebern zu – groteske, schnauzbärtige Hennen, die sich gegenseitig aufstachelten, wummernder Bass und seufzender Sopran. Manchmal wurde ich wach und hörte sie lachen, dann wusste ich, ich hatte geschnarcht.
    Die Sterne standen am Himmel. Unter ihren eisigen Konstellationen lag ich taufeucht da, zu scheu, durch die Küche in mein Bett zu gehen.
    Sie sprachen ausgezeichnetes Englisch, sofern sie nicht Lieder sangen oder Listen aufstellten, was sie offenbar leidenschaftlich gern taten. Welcher Art Listen hätte ich nicht zu sagen gewusst. Vielleicht Männernamen oder auch Dorfnamen, möglicherweise bestimmte Wahrzeichen, die ihnen halfen sich zu erinnern, wo wer wohnte, zumindest malte ich mir dies aus. Die dünne Stimme des sogenannten Märchensammlers übertönte alle anderen. Warum das so war, konnte ich mir nicht denken, falls er nicht zu jenen Vagabunden zählte, die jeden Bauern mit Namen kannten und wussten, wer sich besonders leichtgläubig zeigte, etc. Es ging endlos so weiter. Wenn keine Listen, dann Lieder. Wenn keine Lieder, dann Grillen.
    »Um Himmels willen, Sie holen sich ja den Tod.«
    Sumper half mir auf die Füße und brachte mich in die Küche. Dort setzte er mich an den Tisch und behielt mich im Auge, als wäre er meine Mutter. Frau Helga stellte mir so etwas wie Haferbrei hin. Sumper blieb und sah mir beim Essen zu.
    »Was haben Sie für ein Anliegen, Herr Brandling?«
    »Ich muss dringend einen Brief an meinen Sohn schicken.«
    »Morgen«, erwiderte er und hatte keine Ahnung, dass ein Leben auf dem Spiel stand.
    Morgens sah ich von meinem Schlafzimmerfenster aus, wie Carl mit seltsam strahlendem Gesicht davonzutrotten pflegte, den Ziegenpfad hinaufhüpfte, den Erntearbeitern zuwinkte und ein, zwei Stunden später mit einem Päckchen oder Körbchen zurückkehrte, manchmal auch nur mit einer ausgebeulten Hosentasche, und dies Geheimnisvolle wurde nach oben gebracht, über die Schütte, klopf, klopf, um entweder mit Ausrufen des Triumphes oder des Tadels entgegengenommen zu werden.
    Er besaß höchst außergewöhnliche Hände, dieser Carl. So lang und schlank, dass man glauben mochte, sie würden eigentlich ein weiteres Gelenk benötigen. Sumper hatte den Jungen ins Herzen geschlossen. Er nannte ihn sein Genie, seine Muse und noch so manch anderes Erstaunliches, was mich glauben ließ, dass es Carls überirdische Hände waren, die Percys Maschine konstruierten.
    Ohne von ihren Stricknadeln aufzublicken, sagte Helga: »Zeigen Sie ihm unseren neuen Briefkasten, Monsieur Arnaud.«
    »Auf der Stelle«, antwortete Arnaud, verschwand dann aber. Ich saß immer noch im selben Zimmer, als er schließlich zum Abendbrot zurückkehrte.
    Sobald das Geschirr abgetragen worden war, verkündete ich, dass ich mich nun selbst auf den Weg begeben wollte, um den Briefkasten zu suchen.
    Der Märchensammler sprang auf.
    »Sind Ihre Briefe fertig, Herr Brandling?«
    Ich sah, dass der Schuft sich ›für die Stadt‹ fein gemacht hatte und nun eine Weste trug, dazu dunkelgrüne Kniehosen aus Veloursamt, derbe Stiefel sowie einen breiten Ledergürtel, den er um die schmale Hüfte nun ein Loch enger schnallte.
    »Ich habe noch keine Briefmarken«, sagte ich.
    »Wir haben Marken in den schönsten Farben«, erwiderte der Märchensammler. »Sie sind für England bestimmt, nicht wahr? Zwei Briefe?«
    Das habt Ihr den ganzen Tag gewusst, dachte ich. Bald wird es dunkel.
    »Wir werden eine Laterne brauchen.«
    »Nicht nötig.«
    »Scheint der Mond?«
    »Ich habe Augen wie eine Katze«, sagte der seltsame Mann. Und wir zogen hinab in die Gischt und das Chaos der Klamm.
    Als wir wenige Minuten später wieder daraus auftauchten, erglühte die Welt in strohgoldenem Licht. Und man konnte die Vögel wieder hören, auch das helle Bimmeln der Kette, mit der am Ufer drei Zwergziegen angebunden waren.
    »Meine Mutter ist eine Katze gewesen«, sagte der Märchensammler, als sei das eine ganz gewöhnliche Feststellung.
    Ich erwiderte nichts darauf, fürchtete in Wahrheit aber alle Märchen, nicht, weil ich sie glaubte, sondern weil ich nicht aufhören konnte, mir etwa die böse Stiefmutter vorzustellen, die gezwungen wurde, in rotglühenden Eisenschuhen zu tanzen. Welch Grausamkeiten wir Menschen doch Tag für Tag begehen.
    Wie sich herausstellte, war es bis zum Dorf gar nicht weit. Ich warf die Briefe an Percy in einen Eisenkasten, der goldene Quasten hatte wie ein General. Dann bogen wir um eine Ecke, und ich entdeckte malerische, eng