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Chemie der Tränen

Chemie der Tränen

Titel: Chemie der Tränen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Carey
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trotzdem in Deutschland gemacht.«
    »Und woher wissen wir das?«
    »Ich zeige es Ihnen«, sagte ich und wies auf das kleine Zeichen, das ich entdeckt hatte. Nur ein A, und das könnte in Wahrheit alles Mögliche bedeuten.
    »Das hier ist das Zeichen eines Silberschmieds namens Arnaud«, sagte ich. »Ein hugenottischer Name, aber der Mann hat in Deutschland gearbeitet.«
    Ich sollte mich schämen (auch wenn sich später herausstellte, dass ich völlig recht hatte).
    »Und was die Minerva angeht, so wurde der Stempelaufdruck mit ihrem Bild vom französischen Eichamt für jene Ware vergeben, die in Frankreich verkauft werden sollte. 1870 fand in Paris die Internationale Weltausstellung statt. Gut möglich, dass der Schwan dort gezeigt wurde. Und damit steht Ihre nächste Aufgabe fest, Amanda. Sind Sie mit dem Britischen Museum vertraut?«
    Natürlich war sie das; sie war ein Schatz.
    Mir kam gar nicht der Gedanke, dass ich sie vermissen oder am nächsten Nachmittag auf ihre Rückkehr warten könnte. Sie kam gegen drei, mit Burberry-Tasche und Liberty-Schal bereits fürs Wochenende gerüstet. Warum ziehen sich diese Sloaney-Mädchen nur so an? Und dann auch noch diese grässlich bunten Strumpfhosen …
    »Auf ins Wochenende?«, fragte ich, nachdem sie mir mitgeteilt hatte, was sie herausfinden konnte.
    »Zu meinem Großvater.«
    »Das ist nett.«
    »Ich liebe ihn. Ich weiß, dass klingt ein bisschen seltsam, aber es stimmt«, sagte sie und funkelte mich an. »Haben Sie ein Haus auf dem Land?«
    Ich hatte JPEG s vom Rasen in Southwold gelöscht und lachte nicht, lächelte nicht einmal, schüttelte nur den Kopf.
    »Tut mir leid, das mit Ihrem Freund.«
    Anfangs war ich dankbar für ihr intuitives Verständnis, dann aber war ich schlagartig davon überzeugt, dass sie weit mehr über mich wusste, als sie wissen sollte.

Catherine
    Seit Abziehen der Plane hatte ich mit etwas gelebt, was während der Verfahrensanhörung nur annähernd mit Unterbau beschrieben worden war. Man stelle sich darunter allerdings besser einen dick mit Pech beschmierten Holzrumpf vor. Es stand außer Frage, dass darin früher das Uhrwerk untergebracht gewesen war, doch war uns dieses Wissen für die anstehende Arbeit keine Hilfe, da unsere Aufgabe darin bestand, die Apparatur wieder zusammenzufügen und auf eine moderne Plinthe zu setzen.
    Ich fand es daher irritierend, in meine Werkstatt zurückzukehren und die Courtauld-Absolventin dabei zu ertappen, wie sie sich nicht um Sumpers gewaltiges Hexenwerk kümmerte, sondern um diesen hässlichen Rumpf, der etwa so faszinierend war wie ein überfahrener Igel auf einer Landstraße.
    Dreimal sah ich mich genötigt, sie eigenhändig davon fortzuziehen, und beim vierten Mal fauchte ich: »Kümmern Sie sich verdammt nochmal endlich um Ihre Arbeit.«
    Wie zur Antwort griff sie nach meiner Hand: »Nun machen Sie schon, Miss Gehrig, geben Sie zu, dass Sie auch ein bisschen neugierig sind.«
    Am liebsten hätte ich ihr ins Gesicht geschlagen. Weiß der Himmel, was passiert wäre, wäre Eric nicht in diesem Moment hereingestürmt. Wie gewohnt ignorierte er meine Assistentin, nannte mich Cat und hieß mich, das Spielwerk aufzuziehen. Dann legte er im Takt der Melodie ein rührend plumpes Varietétänzchen hin.
    »Bestens, bestens«, sagte er und rieb sich die quadratischen, trocknen Hände. »Das ist das sechzehnte Weltwunder.« Dann ging er wieder.
    Anschließend ließ ich mir von Amanda beim Ausbau der Hauptfeder helfen, und sie schien den Rumpf vergessen zu haben. Ihr edler Pullover bekam Ölflecken, aber das schien sie nicht zu kümmern. Also hielt ich ihr einen langen Vortrag über das Tragen von Arbeitskitteln, den sie mit kaum verhohlener Ungeduld über sich ergehen ließ.
    »Ist es nicht schön«, sagte sie, sobald ich aufhörte, sie anzumeckern.
    »Ja, ist es.«
    »Und das ist mein verdammtes Werk, nicht?«
    Dieser kleine Fratz. Ich musste lächeln.
    Die Feder des Uhrwerks war sehr alt und zweifellos handgemacht, stark strukturiert und auffällig anders als moderne Federn. Gemeinsam gelang es uns, sie auf den Werktisch zu hieven, wonach wir beide ziemlich ölverschmiert aussahen. Ihr Pullover war ruiniert, aber sie hatte hochrote Wangen, und ihre Augen leuchteten.
    In diesem kurzen Moment fühlte ich mich zum ersten Mal, seit Matthew gestorben war, so richtig lebendig. Natürlich fiel mir das erst später auf, als sich die Wärme längst wieder verflüchtigt hatte.
    Es war schon fünf Uhr nachmittags, aber

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