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Cheng

Cheng

Titel: Cheng Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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finden. Eine Kellnerin, die lächelte, als würde sie für Singapore Airlines arbeiten, brachte Cheng zu einem Tisch, der mehr ein Tischchen war, aber dennoch eine beträchtliche Anzahl von Geschirr aufwies. Was die handgeschriebene Speisekarte beherbergte, konnte Cheng nicht sagen, da ihm sein Schulfranzösisch im Laufe der Erwachsenenjahre abhanden gekommen war. Wenigstens reichte es, um irgend etwas zu bestellen. Die Kellnerin schenkte ihm einen Blick, der besagte, daß sie es unheimlich süß finde: sein Französisch mit diesem chinesischen Akzent. Den Rotwein bestellte er auf deutsch, was sie nicht ganz so süß fand.
    Aber auch im Angesicht dessen, was er bestellt hatte, konnte er nicht sagen, was es war oder woraus es bestand (von der verkümmerten Olive einmal abgesehen), aber er konnte sagen, daß es sehr verloren aussah in der hellblauen Öde dieses Tellers (der frisch aus dem Geschirrspüler kam, daran war nicht zu zweifeln). Der Rotwein hingegen war eindeutig als solcher zu erkennen. Jetzt lächelte auch Cheng, froh darüber, daß es noch Dinge gab, auf die man sich verlassen konnte. Was er dann aß, irgend etwas in Teig Geschweißtes, schmeckte gar nicht so schlecht (im Vergleich etwa mit Dosenravioli), war aber ungeeignet, das zu befriedigen, was jener Mensch, den kein noch so raffiniertes Arrangement sättigt, schlichtweg als Hunger bezeichnet (im Vergleich etwa mit Dosenravioli, die schon so manchen Hunger gestillt haben).
    Cheng sah sich um; eigentlich mußten Strakas Leute hier auffallen. Er selbst mußte auffallen. Doch bei genauer Betrachtung sahen alle Gäste ziemlich hungrig aus. Cheng zündete sich eine Zigarette an. Die freundliche Kellnerin erschien sogleich mit einem Aschenbecher und stellte ihn sehr umständlich zwischen all die Gläser, so als sei das normalerweise eigentlich nicht Usus, sich den Gaumen zu nikotieren. Cheng bestellte ein weiteres Glas Rotwein.
    Als die Kellnerin es servierte, erklärte sie (mit leiser, geradezu zerkochter Stimme), ein Herr Cheng werde am Telefon verlangt. Sie wartete verlegen lächelnd. (Wenn solche Menschen sterben oder sich auch nur aufs Klo setzen, fällt ihnen ihr Lächeln wie eine schwarze Bananenschale von den Lippen.) Cheng nahm einen Schluck Wein, stand sehr langsam auf, um Strakas Leuten eine Chance zu geben, auf ihn aufmerksam zu werden, und ließ sich von der Kellnerin zum Telefon geleiten, welches sich in der Lounge des angeschlossenen Hotels befand.
    »Was soll das, Cheng«, vernahm er die Stimme jener Frau, die ihn per Diktiergerät ermahnt hatte, sich an St. Kilda zu erinnern. »Ich habe Ihnen doch gesagt, das ist eine Familienangelegenheit. Und was muß ich feststellen: Sie haben Leute bei sich, die ich nicht eingeladen habe.«
    »Das bilden Sie sich ein. Ich bin alleine hier. Oder wollen Sie sagen, Sie hätten Straka gesehen.«
    »Hören Sie auf. Ich weiß ganz gut, daß Straka im schönen Wahnegg sitzt und seine Leute von dort aus kommandiert. Es wird Zeit, damit aufzuhören, mich für dämlich zu halten. Sie haben sich nicht an unsere Abmachung gehalten. Das war sehr unklug.«
    »Moment, gute Frau, ich weiß wirklich nichts von einer Abmachung.« Cheng sah sich verzweifelt um. Wo waren die verdammten Straka-Leute?
    »Ich bin sicher nicht Ihre gute Frau, das werden Sie noch begreifen.«
    »Nicht böse sein, aber einen Scheiß werde ich.« Und damit legte Cheng den Hörer auf. Na gut, man konnte die Sache also abblasen. Mein Gott, und das waren also Strakas Undercover-Methoden. Er sah sich um. Um eine Art Lagerfeuerkamin saßen Leute mit hochroten Gesichtern, schwitzten in ihren Norwegerpullovern, schielten in ihre Drinks und fühlten sich verpflichtet, das alles unheimlich gemütlich zu finden. Vielleicht saß einer von Strakas Männern darunter und glaubte noch immer, er döse hier inkognito vor sich hin. Oder der Kerl in der allzu engen Skihose, der an der Portiersloge stand und auffällig wie eine Agentenkarikatur in einem Magazin blätterte. Cheng zuckte mit den Schultern und ging zurück zum Restaurant. Dabei mußte er durch einen schmalen, holzgetäfelten Verbindungsgang. Gedämpftes rötliches Licht brach aus den Preßglasappliken, dazwischen blasse Landschaftsaquarelle. Vor einer Tür, die kaum als solche erkennbar war (weil getäfelt wie die Wand) und die ein winziges Messingschild verschämt als Herrentoilette auswies, blieb Cheng stehen, denn das Signal aus seiner Harnblase war unmißverständlich. Aber eine Unsicherheit hielt

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