Cheng
wenn auch nicht zu verhindern. Auf jeden Fall fehlt es den meisten Verbrechen gänzlich an etwas Geheimnisvollem. Was mich nicht stört. Mir reicht die Literatur. Das Leben ist nun mal eine trockene Semmel.
Außerdem haben wir ja noch immer unseren Fall Ranulph Field. Ich nehme an, daß Sie mich deshalb sprechen wollten.«
Cheng zeigte auf den schwarzen Klumpen unter der Schreibtischlampe, erzählte, wie er zu diesem anmaßenden Katzentier gekommen war, beschrieb den Schrecken, der ihn im Bett ereilt hatte, und reichte Straka die Nachricht, die er auf Batmans Halsband gefunden hatte.
»Die Dame scheint sich mit dem Erreichten nicht zufriedenzugeben«, sagte Straka, »und das eröffnet uns einige Möglichkeiten. Vorausgesetzt, Sie sind wirklich bereit, nach Schlagholzl zu fahren. Wir wären natürlich mit von der Partie. Glauben Sie mir, wir sind keine Komikertruppe. Natürlich haben wir unsere Pfuscher, wer hat die nicht, aber für solche Einsätze verfüge ich über ein paar Leute, die täglich ihre Milch trinken. Ich selbst würde mich im Hintergrund halten, offensichtlich kennt mich die Dame. Vielleicht auch nur vom Namen her. Auf jeden Fall gehöre ich nicht zur Familie. Wir werden kein Risiko eingehen. Und schließlich sind Sie ja selbst ein Profi. Ist also nicht nötig, Sie da sonderlich zu präparieren. Sie fahren alleine nach Schlagholzl. Keine Abmachungen, Abmachungen verunsichern. Meine Männer werden Sie observieren, so, daß Sie es selbst nicht merken. Je weniger Sie von unserem Einsatzplan wissen, um so besser für Sie. Und seien Sie ruhig nervös. Wirkt natürlich.«
5
Cheng saß am Steuer seines Fiat und fuhr über die Autobahn. Es war später Nachmittag, und die Dunkelheit war ohne großes poetisches Getue über die Landschaft gekommen. Im Radio brachten sie gerade den politischen Jahresrückblick, und Cheng fiel auf, wie gleichgültig ihm das war, wer da wem wie heftig, wie geschickt oder wie plump in die ideologischen Eier getreten hatte.
Abgesehen davon, daß diese Leute alle einen aus derselben Produktion stammenden Hodenschutz trugen. Als dann auch noch ein Bischof zu Wort kam und die Begriffe Wahrheit und Dogma verwechselte, legte Cheng eine Kassette ein. Scarlatti. Horowitz gab sein Bestes, und sein Bestes war gar nicht so schlecht. Wenngleich es wenig mit Scarlatti zu tun hatte, sondern eigentlich nur mit Horowitz. Horowitz spielt Horowitz, so wie ja auch jeder andere weltbekannte Klavierturner stets immer nur sich selbst spielt und kaum Chopin oder Skrjabin oder wen auch immer. Und so geschickt ein Fingerkünstler wie Horowitz auch sein mag, Scarlatti hat die besseren Klavierstücke geschrieben, und es ist nicht gerade vornehm, daß Horowitz sein eigenes Zeug aufmotzt, indem er die Trademark Scarlatti verwendet. Wer wirklich Scarlatti hören möchte, muß sich das von einem Amateur vorspielen lassen, von irgend so einem angeblich minderbegabten Kerl, dem sein jungfräuliches Pianistenhirn noch nicht zwischen den Handflächen Abertausender begeisterter Freunde der Klavierakrobatik zu Brei geschlagen wurde.
Cheng sah in den Rückspiegel – Lichtflecken, in denen der Schnee aufzuckte. Irgendwo da hinten waren Strakas Leute, vielleicht fuhr auch ein Wagen vor ihm, schließlich wußten sie ja, wohin es ging. Die Anwesenheit der Mannschaft beruhigte ihn. Viel konnte da nicht schiefgehen (zumindest wollte sich Cheng nicht vorstellen, was alles wie schiefgehen konnte).
Kurz nach acht kam er in Schlagholzl an, ein typischer Wintersportort. Jedes zweite Haus gehörte der Familie eines ehemaligen Abfahrtsweltmeisters, ohne den in dieser Gegend gar nichts ging. Die wenigen Aufmüpfigen hatte man längst aus der Region gejagt oder Schlimmeres. (Es ist erstaunlich, mit welch angstvollem Blick der durchschnittliche Österreicher die auf Sizilien und überhaupt in Süditalien vorherrschenden mafiosen Strukturen sieht und wie wenig ihn das typisch österreichische Machtkonglomerat aus Skisportlern und Bürgermeistern zu erschrecken vermag. Sich gegen den Herrschaftsanspruch eines ehemaligen Skiweltmeisters zu stellen ist selbstmörderisch. Solchen Leuten bleibt dann nur noch die Flucht in die Anonymität einer Großstadt – wenn sie Glück haben, aber solchen Leuten ist in der Regel jegliches Glück abhanden gekommen.)
Für einen Besuch im Death-Trap war es noch zu früh, weshalb Cheng ins Restaurant Biarritz ging. Es sah teuer aus, aber in dieser Gegend würde er ohnehin kein billiges Wirtshaus
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